Hustle: Gelungener Mix aus Unterhaltung und Kapitalismuskritik

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
downey_jr Avatar

Von

Julia Bährs Debütroman „Hustle“ hatte mich zwar vom Cover her nicht unbedingt angesprochen, aber zum Glück bin ich ein Fan der inneren Werte (bei Büchern und Menschen) - denn dieser Roman aus dem Pola-Verlag ist definitiv ein Buch nach meinem Geschmack!

Die 30jährige Pflanzengenetikerin Leonie nimmt einen Job in München an, nachdem sie das Büro ihres ehemaligen Chefts verwüstet hat. Dass sie beim Vorstellungsgespräch nicht ganz die Wahrheit gesagt hat - sei’s drum! Leonie nimmt es mit der Wahrheit nicht so genau, aber ihre Gründe sind immer vertretbar; jedenfalls nach ihrer eigenen Moralvorstellung.
München ist teurer als gedacht, der Job schlecht bezahlt. Zufällig lernt Leonie da drei Frauen kennen, die sich ihr Leben offenbar mit eher zweifelhaften Methoden finanzieren. Leonie ist fasziniert und hat schnell eine eigene Idee, ihre Finanzen aufzubessern: Sie verkauft raffinierte Racheaktionen an Menschen mit Liebeskummer. Das läuft besser als erhofft, Leonies Kontostand klettert in die Höhe. Doch sie muss auch feststellen, dass der Job nicht ohne Risiko ist.

"Ihr war klar, dass Scheitern fast überall dazugehörte. Das lernte man in der Pflanzengenetik schnell. Alles musste man x-mal auf unterschiedliche Weisen versuchen, bis das Ergebnis endlich so war, wie man es sich vorgestellt hatte.
In ihrem neuen Job konnte sie sich das nicht leisten. Kein trial & error. Nur hit & run. Und bloß nichts am Tatort vergessen."

Wow, was für ein Roman! Vom Pola-Verlag bin ich ja schon einiges an guten Romanen gewohnt, aber dieser hier war wirklich ein unerwartetes Highlight!
Schon die Anfangsszene mit der Kresse-Aktion war einfach umwerfend!
So zieht sich das auch durch den gesamten Roman: Einerseits wirklich oft zum Schreien komisch, andererseits aber auch mit gut positionierter Kapitalismus- und Gesellschaftskritik.

"'Konntest du nicht einfach billiges Make-up kaufen?'
'Darum geht es nicht. Ich habe aus Überzeugung geklaut. Wir leben in einer Stadt, in der Menschen mit normalen Jobs die Lebenshaltungskosten nicht decken können. Und politisch interessiert das niemanden. Da ist Klauen doch für viele die einzige Lösung.'
'Oder wegziehen', sagte Leonie.
'Wegziehen ist ein kapitalistischer Verdrängungsprozess. Reiche Menschen verdrängen arme Menschen. Wenn die sich was zurückholen durchs Klauen, ist es nichts weiter als praktische Umverteilung. Viele große Firmen zahlen Überstunden nicht aus, lassen ihre Leute in den Pausen weiterarbeiten. Die machen ihren Gewinn auf Kosten der Menschen, die für sie arbeiten.'
'Aber wir brauchen doch alle Jobs.'
'Du verkaufst deine Firma deine Arbeitskraft und schuldest ihr darüber hinaus keine Loyalität. Es ist sogar gefährlich, Loyalität für den Arbeitgeber zu empfinden. Weil es dich in ein patriarchiales Abhängigkeitsverhältnis führt, in dem dein Arbeitgeber ein netter, väterliche Freund ist, der dir Blumen als Krankenbett schickt, nachdem du dich für ihn kaputt gearbeitet hast.'“

Leonie hat mir als Protagonistin sehr gut gefallen, ebenso ihre Freundinnen in München.
Alle Charaktere waren authentisch und überzeugend dargestellt. Auch Leonies Eltern und deren verkorkste Beziehung konnte ich mir lebhaft vorstellen.

Der Schreibstil von Julia Bähr hat mir sofort sehr gut gefallen: frisch und modern, angenehm zu lesen, pointiert und mit Wortwitz, aber auch mit ordentlich Tiefgang.
Auf unterhaltsame Art und Weise geht Julia Bähr dabei Fragen nach Moral und Gewissen nach, ohne dass es oberflächlich wird. Auch die Freundschaft und Unterstützung unter Frauen macht einen tragenden Anteil an der Geschichte aus.

Ein wirklich sehr unterhaltsamer und vielschichtiger Roman, der von mir eine ganz klare Leseempfehlung bekommt!