Rache als Geschäftsmodell (Glitzer inklusive) ✨
✨ REZENSION zu „Hustle“ von Julia Bähr (@comeonbaehr), erschienen im Pola Verlag (@pola_stories)
📖 Inhalt (spoilerfrei): In „Hustle“ zieht Leonie nach einer Kündigung nach München und sieht sich dort mit überteuerten, wenig attraktiven Wohnungen und einem monotonen Job konfrontiert. Durch Zufall findet sie Anschluss an einen Freundeskreis, der mit ungewöhnlichen „Side-Hustles“ sein Geld verdient. Inspiriert davon startet Leonie schließlich ihr eigenes Geschäft: Gegen Bezahlung übernimmt sie Racheaktionen für Menschen mit gebrochenem Herzen. Dabei stellt sich für sie immer wieder die Frage, was ein gutes Leben eigentlich kostet und welche Risiken sie dafür tragen möchte.
🖋️ Erzählstil und -struktur: Der Einstieg hat sich für mich nicht ganz stimmig angefühlt. Am Anfang erzählt Leonie in einer Art Zeitraffer von den Geschehnissen in ihrem Job. Dadurch wird viel übersprungen und nur teilweise über ein Gespräch mit ihrem besten Freund vermittelt, der die meisten Dinge ohnehin schon weiß („ich weiß, du hast mich doch mehrfach weinend vom Klo angerufen“). Das wirkte auf mich ein wenig konstruiert. Hier hätte ich mir eine direktere, retrospektive Erzählweise gewünscht. Der Ton ist teilweise satirisch, insgesamt leicht und flüssig zu lesen. Manche Szenen, vor allem die Racheaktionen, erschienen mir allerdings sehr unglaubwürdig und haben mich ein wenig aus der Geschichte herausgerissen (z. B. das Pinkfärben von Haaren, als wäre dies nicht rückgängig zu machen).
👥 Figuren: Leonies Entwicklung bleibt für mich eher unausgeglichen. Einerseits grenzt sie sich von Konsumdenken ab, andererseits lässt sie sich stark vom Münchner Umfeld und den Erwartungen ihrer Freundinnen beeinflussen. Das ist menschlich nachvollziehbar, bleibt im Buch aber eher oberflächlich ausgearbeitet. Die Nebenfiguren wirkten auf mich in vielen Punkten eher flach. Statt als eigenständige Charaktere mit Tiefe treten sie vor allem als funktionale Rollen auf, mal als Impulsgeber, mal als Kontrast oder Sparringspartner.
🌙 Symbole und Themen: Den zu Beginn geschilderten Konflikt mit Mosweti habe ich als Anspielung auf Monsanto gelesen. Monsanto (heute Teil von Bayer) steht vor allem wegen Glyphosat, gentechnisch veränderten Pflanzen, patentrechtlich gesichertem Saatgut und dem damit verbundenen Druck auf Landwirte sowie wegen seines aggressiven Markt- und Lobbyverhaltens in der Kritik. Diese Praktiken gelten als umweltschädlich, gesundheitlich riskant und als Symbol für die problematische Macht großer Agrarkonzerne und prägen bis heute den umstrittenen Ruf des Unternehmens. Aufgefallen ist mir auch die Symbolik in der Szene, in der Leonie an ihrem letzten Arbeitstag bevor sie die Büroräume von Mosweti verlässt, überall Kresse-Samen verstreut. Sie hat dort buchstäblich ein Keim für ihren Neuanfang gelegt. Die Kresse symbolisiert in vielen Kulturen Hoffnung, Neubeginn und neues Leben, was ich an der Stelle des Buches sehr passend eingesetzt fand. Besonders stark fand ich die Authentizität, mit der das Leben in München eingefangen wird (vermutlich deshalb, weil die Autorin selbst bis 2014 dort gelebt hat). Hohe Lebenshaltungskosten, verdrängte Geschäfte, unbezahlbare Wohnungen mit Schimmel und Kakerlaken. All das zeigt schonungslos, wie absurd und ungerecht das System ist. Auch der Anpassungsdruck an Konsumstandards wird nüchtern und realistisch geschildert. Was zunächst widersprüchlich wirken mag, aber die Kapitalismus- bzw. Gesellschaftskritik sogar bereichert, ist die Tatsache, dass die Figuren diesen Mechanismen nachgeben und selbst nach Luxus, Kleidung und Statussymbolen streben. Für mich spiegelt das sehr menschlich den inneren Zwiespalt zwischen Kritik und Mitmachen wider.
💡 Fazit: „Hustle“ liest sich unterhaltsam und greift spannende gesellschaftliche Themen auf. Die Sprache ist metaphorisch und teilweise fast poetisch. Ich mochte Böhrs originelle Vergleiche sehr: Schleimpilze werden als Metaphern für gesellschaftliche Strukturen und zum Sinnbild für das menschliche Leben und dessen Entwicklungen. Gleichzeitig fehlte mir aber ein klarer roter Faden, die Figurenentwicklung blieb für mich unbefriedigend und das Ende wirkte ein wenig richtungslos. Insgesamt hatte das Buch Potential, das für mich nicht ausgeschöpft wurde. Auf ihrer Webseite beschreibt Bähr „Hustle“ als literarisches Experiment: Sie wollte bewusst etwas ganz anderes schreiben als ihre bisherigen, eher romantischen oder humorvollen Werke. Für sie fühlte es sich an, „als wäre sie ganz gut im Klavierspielen gewesen und plötzlich bekam sie eine Geige gereicht“. Auch ein Instagram-Post von 2016, in dem sie die Redaktionsräume der FAZ mit „Hamsterrad“ kommentierte, wirkt im Rückblick wie ein leiser Hinweis auf das kapitalismuskritische Grundthema des Romans.
3|5 ⭐️
📖 Inhalt (spoilerfrei): In „Hustle“ zieht Leonie nach einer Kündigung nach München und sieht sich dort mit überteuerten, wenig attraktiven Wohnungen und einem monotonen Job konfrontiert. Durch Zufall findet sie Anschluss an einen Freundeskreis, der mit ungewöhnlichen „Side-Hustles“ sein Geld verdient. Inspiriert davon startet Leonie schließlich ihr eigenes Geschäft: Gegen Bezahlung übernimmt sie Racheaktionen für Menschen mit gebrochenem Herzen. Dabei stellt sich für sie immer wieder die Frage, was ein gutes Leben eigentlich kostet und welche Risiken sie dafür tragen möchte.
🖋️ Erzählstil und -struktur: Der Einstieg hat sich für mich nicht ganz stimmig angefühlt. Am Anfang erzählt Leonie in einer Art Zeitraffer von den Geschehnissen in ihrem Job. Dadurch wird viel übersprungen und nur teilweise über ein Gespräch mit ihrem besten Freund vermittelt, der die meisten Dinge ohnehin schon weiß („ich weiß, du hast mich doch mehrfach weinend vom Klo angerufen“). Das wirkte auf mich ein wenig konstruiert. Hier hätte ich mir eine direktere, retrospektive Erzählweise gewünscht. Der Ton ist teilweise satirisch, insgesamt leicht und flüssig zu lesen. Manche Szenen, vor allem die Racheaktionen, erschienen mir allerdings sehr unglaubwürdig und haben mich ein wenig aus der Geschichte herausgerissen (z. B. das Pinkfärben von Haaren, als wäre dies nicht rückgängig zu machen).
👥 Figuren: Leonies Entwicklung bleibt für mich eher unausgeglichen. Einerseits grenzt sie sich von Konsumdenken ab, andererseits lässt sie sich stark vom Münchner Umfeld und den Erwartungen ihrer Freundinnen beeinflussen. Das ist menschlich nachvollziehbar, bleibt im Buch aber eher oberflächlich ausgearbeitet. Die Nebenfiguren wirkten auf mich in vielen Punkten eher flach. Statt als eigenständige Charaktere mit Tiefe treten sie vor allem als funktionale Rollen auf, mal als Impulsgeber, mal als Kontrast oder Sparringspartner.
🌙 Symbole und Themen: Den zu Beginn geschilderten Konflikt mit Mosweti habe ich als Anspielung auf Monsanto gelesen. Monsanto (heute Teil von Bayer) steht vor allem wegen Glyphosat, gentechnisch veränderten Pflanzen, patentrechtlich gesichertem Saatgut und dem damit verbundenen Druck auf Landwirte sowie wegen seines aggressiven Markt- und Lobbyverhaltens in der Kritik. Diese Praktiken gelten als umweltschädlich, gesundheitlich riskant und als Symbol für die problematische Macht großer Agrarkonzerne und prägen bis heute den umstrittenen Ruf des Unternehmens. Aufgefallen ist mir auch die Symbolik in der Szene, in der Leonie an ihrem letzten Arbeitstag bevor sie die Büroräume von Mosweti verlässt, überall Kresse-Samen verstreut. Sie hat dort buchstäblich ein Keim für ihren Neuanfang gelegt. Die Kresse symbolisiert in vielen Kulturen Hoffnung, Neubeginn und neues Leben, was ich an der Stelle des Buches sehr passend eingesetzt fand. Besonders stark fand ich die Authentizität, mit der das Leben in München eingefangen wird (vermutlich deshalb, weil die Autorin selbst bis 2014 dort gelebt hat). Hohe Lebenshaltungskosten, verdrängte Geschäfte, unbezahlbare Wohnungen mit Schimmel und Kakerlaken. All das zeigt schonungslos, wie absurd und ungerecht das System ist. Auch der Anpassungsdruck an Konsumstandards wird nüchtern und realistisch geschildert. Was zunächst widersprüchlich wirken mag, aber die Kapitalismus- bzw. Gesellschaftskritik sogar bereichert, ist die Tatsache, dass die Figuren diesen Mechanismen nachgeben und selbst nach Luxus, Kleidung und Statussymbolen streben. Für mich spiegelt das sehr menschlich den inneren Zwiespalt zwischen Kritik und Mitmachen wider.
💡 Fazit: „Hustle“ liest sich unterhaltsam und greift spannende gesellschaftliche Themen auf. Die Sprache ist metaphorisch und teilweise fast poetisch. Ich mochte Böhrs originelle Vergleiche sehr: Schleimpilze werden als Metaphern für gesellschaftliche Strukturen und zum Sinnbild für das menschliche Leben und dessen Entwicklungen. Gleichzeitig fehlte mir aber ein klarer roter Faden, die Figurenentwicklung blieb für mich unbefriedigend und das Ende wirkte ein wenig richtungslos. Insgesamt hatte das Buch Potential, das für mich nicht ausgeschöpft wurde. Auf ihrer Webseite beschreibt Bähr „Hustle“ als literarisches Experiment: Sie wollte bewusst etwas ganz anderes schreiben als ihre bisherigen, eher romantischen oder humorvollen Werke. Für sie fühlte es sich an, „als wäre sie ganz gut im Klavierspielen gewesen und plötzlich bekam sie eine Geige gereicht“. Auch ein Instagram-Post von 2016, in dem sie die Redaktionsräume der FAZ mit „Hamsterrad“ kommentierte, wirkt im Rückblick wie ein leiser Hinweis auf das kapitalismuskritische Grundthema des Romans.
3|5 ⭐️