Melancholisch-schöne Geschichte um Familie und Freundschaft

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elfe1110 Avatar

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Eine Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet mitten in der Pandemie. Die fast 40-jährige Hanna sieht immer wieder eine junge Frau mit kurzen, dunklen Haaren, die sie an ihre Freundin Zeyna aus Kindheitstagen erinnert. Von Einsamkeit und Trauer aber auch von Erinnerungen an eine glückliche Zeit geleitet geht sie in Gedanken zurück in die 80er Jahre. Damals lebte Hanna bei ihren Großeltern Felizia und Theo. Ihre Freund Cem sowie ihre Freundin Zeyna mit ihrem Vater Nabil waren ein wichtiger, enger Teil dieser bunt zusammengewürfelten Wahlfamilie, in der die Rollen neu gemischt wurden. Obwohl Hanna und Zeyna als Freundinnen unzertrennlich waren, gab es immer wieder kleine Reibungen, die Cem anfangs zwischen den Mädchen gut abpuffern konnte. Nach und nach aber bekommt die Freundschaft immer mehr Risse bis es dann zum kompletten Bruch zwischen den beiden Freundinnen kommt.

Rasha Khayat schreibt in ihrem zweiten Roman sehr einfühlsam und poetisch von dem, was uns als Menschen verbindet, aber auch von dem, was uns auseinanderdriften lässt. Sie erzählt von Zusammenhalt, bedingungsloser Freundschaft und Liebe. Aber auch von den kleinen emotionalen Spitzen, den kulturellen Unterschieden, dem (Alltags)Rassismus, die diese engen Bande immer wieder aufs Neue herausfordern und auf die Probe stellen. Khayat streift diese Themen, lässt Vieles im Raum stehen, ähnlich der vielen „ungesagten Worte“ im Roman. Und genau diese scheinbar fehlende Tiefe passt wunderbar zur emotionalen Verlorenheit der Protagonistin. Auch sie lässt auf der Suche nach Antworten und Gründen, inmitten ihrer Einsamkeit, viele Gedanken zu, ohne in die Tiefe gehen zu können. Das lässt bei der Leserin viel Raum für eigene Überlegungen und Interpretationen. Die Beweggründe für den Bruch werden so subtil erkennbar, ohne dass sie tatsächlich in Worte gefasst werden (können). Sprachlich ist das unglaublich intensiv und bewegend umgesetzt.

Ich gebe zu: Ich persönlich war zunächst vom Ende des Romans ein wenig enttäuscht, hatte sich der Spannungsbogen doch so gefühlsgeladen entwickelt, dass mir die Auflösung eher „plump und zu einfach“ erschien. Aber bei längerem Nachdenken erscheint mir gerade das die brillante Auflösung der Diskrepanz zwischen Hanna und Zeyna vor dem Hintergrund ihrer unterschiedlichen kulturellen, familiären und gesellschaftlichen Prägung zu sein. Ein wunderschöner, gefühlvoll-trauriger, melancholischer Roman, den ich sehr gern gelesen habe.