So absurd ist nur die Realität

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marialein Avatar

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"Ich muss mit auf Klassenfahrt - meine Tochter kann sonst nicht schlafen" befasst sich, wie schon sein Vorgänger "Verschieben Sie die Klassenarbeit - mein Sohn hat Geburtstag", mit dem alltäglichen Wahnsinn, die Helikopter-Eltern in ihrem Umfeld verbreiten. Durch die übertriebene Sorge dieser Spezies Eltern um das Wohlergehen der Kleinen, Kontrollzwang und Förderwahn entstehen dann Situationen, die einfach völlig absurd, komisch, teilweise aber auch erschreckend sind. Denn Helikopter-Eltern sind so auf ihr Kind fixiert, dass sie gern auch mal vergessen, dass andere Menschen unter ihrem Verhalten leiden - nicht zuletzt auch die eigenen Kinder, die nie Selbstständigkeit oder den Umgang mit Misserfolgen und anderen negativen Erfahrungen lernen können. Auch diese Kinder kommen hier zu Wort.

Das Buch stellt verschiedene Anekdoten von Eltern, Hebammen, Erziehern, Lehrern und anderen Opfern der Helikopter-Tyrannei vor, zuerst in chronologischer Reihenfolge, dann thematisch geordnet. Hat man am Anfang noch ein bisschen Verständnis, wenn Eltern es im Umgang mit diesem zarten, empfindlichen Wesen etwas übertreiben und dabei eigene Bedürfnisse sowie die von Freunden und Verwandten in den Hintergrund rücken, wird der Leser mit zunehmenden Kindesalter doch immer fassungsloser. Da werden Schulkinder von ihren Eltern bis zur Schule getragen (!), auf dem Pausenhof vom Gebüsch aus beobachtet, und gegen jede noch so berechtigte Kritik oder Strafe in Schutz genommen. Je älter die Kinder werden, desto absurder wird es. Ein Vater begleitete seinen Sohn sogar zu einem Vorstellungsgespräch – und beschwerte sich beim CEO, als das Gespräch daraufhin abgesagt wurde.

Bei manchen Geschichten kann man sich allerdings gar nicht vorstellen, dass sie wahr sein sollen oder nicht zumindest stark übertrieben. Dass die gesamte Familie im Kindergarten antanzt, um das leicht fiebrige Kind direkt in die Notaufnahme zu bringen, kann ich mir – leider – durchaus vorstellen. Aber dass sie alle innerhalb von 10 Minuten da gewesen sein sollen, erscheint mir doch so gut wie unmöglich. Aber überhaupt staunt man bei der Lektüre immer wieder, wie viel Zeit diese Helikopter-Eltern zu haben scheinen. Und von all der Energie, die sie in ihre Kinder stecken.

Somit sind die kleinen Geschichten und Dialoge sehr lustig und kurzweilig. Was mir weniger gefallen hat, waren die Elternchats – die endlosen Unterhaltungen über Nichtigkeiten geben zwar ein gutes Bild davon, wie Helikopter-Eltern ticken, verlangsamen aber auch stark den Leserhythmus. Gut fand ich die kleinen Karikaturen an jedem Kapitelanfang und die Überschriften, die meist sehr treffend gewählt waren.

Insgesamt ist das Buch eine unterhaltsame, teilweise schockierende, Lektüre für jeden, der unter dem dreisten Auftreten der Helikopter-Eltern leidet, aber auch für eben diese Eltern selbst als mahnendes Beispiel, wie weit man es bitte nicht kommen lassen sollte.