Comig-of-Age in der römischen Antike

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kkruse Avatar

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„Ich, Sperling“ ist die Coming-of-Age-Geschichte eines namenlosen Erzählers, der in der römischen Antike im 4. Jahrhundert nach Christus in einem Bordell zwischen Prostituierten, Zuhältern und allerlei anderen zwielichtigen Gestalten aufwächst. Dabei wird er mit der brutalen Realität derer konfrontiert, die am Rande der Gesellschaft leben, und muss sich seinen Weg durchs Leben kämpfen.
Für mich persönlich ist das Buch hinter den Erwartungen zurückgeblieben, die die vielen lobenden Besprechungen geweckt haben. Sicherlich ist der Roman gut geschrieben und akkurat recherchiert, doch mit den Charakteren bin ich nicht richtig war geworden, da sie mir alle eher unsympathisch waren.
Erzählt wird aus der Sicht des Protagonisten, der sich abschnittsweise immer wieder im Stile der antiken Geschichtsschreibung an die Leser wendet und die Fiktionalität und Subjektivität seiner Berichte betont. Was wahr und was erdichtet ist, lässt er somit im Zweifel.
Und nicht nur der Erzählstil, auch das historische Setting wird im Roman authentisch geschildert. Man merkt, dass der Autor umfangreich recherchiert hat, um die historischen Fakten korrekt und atmosphärisch wiederzugeben und so durch viele Details sowie intertextuelle Bezüge zu antiken Schriftstellern seine Leserschaft glaubhaft in die römische Antike zu versetzen. Besonders gerne gelesen habe ich zum Beispiel die Marktszenen, denn was man über das Alltagsleben der normalen Leute in der römischen Provinz erfährt, ist wirklich interessant.
Doch wie gesagt konnten mich die Charaktere nicht voll überzeugen, da sie für mich wenig Identifikationspotenzial geboten haben und eher abstoßend wirkten. Der Roman spielt in einem Milieu am Rande der Gesellschaft und dementsprechend sind einige Szenen recht brutal oder pornografisch. Der Protagonist versucht in dieser „Schattengesellschaft“ seine Identität zu finden und sich im wahrsten Sinne des Wortes einen „Namen zu machen“. Diese Coming-of-Age-Geschichte ist auch der einzige Handlungsschwerpunkt, was mich aufgrund der fehlenden Verbindung zu den Personen trotz aller Faszination für die römische Antike dann gelangweilt hat.
Für wen ist das Buch also etwas? Vielleicht für Fans von Robert Harris, der Krimis, die in der römischen Antike spielen, schreibt. Zwar ist „Ich, Sperling“ kein Krimi, aber an zwielichtigen Gestalten mangelt es nicht. Auch Leser und Leserinnen, die sich für Themen wie Identität, „Coming-of-Age“ und Selbstbehauptung interessieren, dürfte der Roman ansprechen. Oft werden diese Themen in einem modernen Kontext behandelt, doch hier lernt man mal eine neue, ungewöhnliche Perspektive kennen. Obwohl der Roman in der Antike spielt, lassen sich die Probleme und Fragen auf die heutige Gesellschaft übertragen.