Jüngling, des Mitleids wert

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
owenmeany Avatar

Von

Dieser historische Roman beschreibt wahrhaft "Geschichte von unten", denn in dem großartigen Imperium Romanum der Kaiser, Senatoren und Philosophen gab es einen Bodensatz von Sklaven, deren Arbeit überhaupt erst den Lebensstil der herrschenden Schicht ermöglichte. In dieses Milieu verschlägt ein erschütterndes Schicksal den kleinen Jungen ohne Namen und Herkunft.

In epischer Breite gibt uns Hynes zunächst Einblick in den Alltag der kleinen Stadt in der Provinz Hispania, indem er den Jungen, der sich selbst Sperling nennt, nach und nach seinen Horizont erweitern lässt. Aus der Küche eines Bordells darf er zum Brunnen gehen, der den Frauen zum Treffpunkt dient, erlebt einen Bäcker beim Betrügen und die Flucht eines Mädchens vom Sklavenmarkt im Forum: hier zeichnet sich schon deutlich der Wert dieser Menschen als Ware ab, beim Verkauf dargestellt wie Zuchtvieh und erbarmungslos verstoßen, wenn sie keinen Profit mehr versprechen oder als hübsche Frau Eifersucht bei der Domina hervorrufen. In diesen Schattenseiten des glorreichen Römischen Reichs erleichtern sich die Menschen ihr schweres Los vor allem durch Solidarität, besonders unter den Frauen und durch eine mühsam errungene innere Freiheit "der Unscheinbaren".

Der Schauplatz Bordell impliziert schon von vornherein schwer erträgliche Szenen - die Darstellung der Vergewaltigung eines Kindes kann einen schon schwer triggern. Deshalb wäre eine entsprechende Warnung sinnvoll, denn romantisch geht es hier in der Liebe bei weitem nicht zur Sache. Ich halte dem Autor sehr zugute, dass er derartige Situationen sachlich, respektvoll und bei all den notwendigen realistischen Begriffen einigermaßen dezent beschreibt. Manch harmloser Leser, der sich von dem ästhetischen Titelbild verlocken lässt, könnte einen Schreck bekommen.

Wie bewältigt man als unbedarftes Kind solche Grausamkeiten? Die Fähigkeit, sich imaginär in einen Vogel zu verwandeln, um das Geschehen aus großer Distanz von oben zu betrachten, ist ein psychologischer Ausweg und ein Aspekt, der auch dem Erzähler hilfreiche Möglichkeiten eröffnet, das enge Spektrum der Realität zu erweitern um bedenkenswerte Facetten im Konjunktiv.

Man muss sich auf das Buch einlassen, mit den schwierigen Passagen zurechtkommen, dann wird einem die Lektüre einen Erkenntnisgewinn und emotionale Einfühlung bescheren.