Ich & Monsieur Roger

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
cracklinrosie Avatar

Von

Ein 8jähriges kanadisches Mädchen (Helene) macht sich 2 Jahre älter und gibt sich als Junge aus, um Zeitungen austragen zu können und Geld für die Familie dazu zu verdienen. Heimlich deponiert sie regelmäßig vor nötigen Einkäufen (die sie ebenfalls machen muss) Geldscheine in der Börse der Mutter, damit für den Einkauf auch im rechten Moment Geld zur Verfügung steht.

Irgendwann zieht ein verschrobener Alter (Roger) in das Haus ein und die beiden verbindet bald eine wunderbare Beziehung. Obwohl Roger meisterlich Hunderte Flüche beherrscht und sie zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit anwendet, wird er auch in Helenes Familie gerne gesehen. Er passt immer etwas auf die Kleine auf, vor allem wenn sie in den dunklen Morgenstunden ihre Zeitungen austrägt und wirkt wie ein unerschütterlicher, fluchender Fels in der Brandung. 

Was für ein beeindruckendes Buch!

Es ist rückblickend aus Sicht der inzwischen erwachsenen Helene geschrieben. Man erlebt mit ihr einige Jahre ihres jungen, komplizierten Lebens. Das Umfeld in dem sie aufwächst ist nicht gerade das allerbeste. Die Leute leben mit dem Nötigsten und können sich nicht viel leisten. Ihre Eltern sind Lehrer, die Mutter arbeitet nicht mehr, da sie sich um die 4 Mädchen kümmern muss. Sie hat eine harte Art mit den Kindern umzugehen. Ihre Anweisungen müssen befolgt werden - ohne Diskussion - fertig aus! (wie sie gerne zu sagen pflegt).

Der Vater scheint sehr unzufrieden in seinem Beruf zu sein und ertränkt seinen täglichen Frust in Alkohol. Bemerkenswert ist, dass trotz dieser Umstände Helene in keiner Weise unglücklich zu sein scheint. Trotz ihres jungen Alters möchte sie der Familie irgendwie helfen - ja, sie förmlich _retten_. Also schlüpft sie innerlich in eine Parallelwelt, in der sie die Rolle einer Zeichentrickheldin einnimmt: Oscar, ebenfalls ein Mädchen, das sich als Junge tarnt um kämpfen zu können in Zeiten vor der Franz. Revolution. Helenes Fahrrad wird zum Pferd und die Zeit des Zeitungsaustragens wird zum Kampfeinsatz, in dem es Mut zu beweisen gilt. Auch in den kommenden Jahren wird die Rolle der Oscar zu ihrem zweiten Ich. 

Immer wieder tauchen Passagen auf, in denen sie ihre Aufgabe darin sieht, heldenhaft ihr übertragene (oder auch nicht übertragene) Aufgaben zu erledigen. Alles für die Familie, denn sie selbst braucht kaum etwas von dem schwer verdienten Geld. Die Gedankengänge dieses Kindes sind sehr berührend und in keiner Weise kitschig. Obwohl die Beziehung zu Roger keinen extrem großen Raum in der Geschichte einnimmt, ist sie doch von enormer Bedeutung für ihre Entwicklung und die Entwicklung Helenes vom Kind zur Jugendlichen. 

Trotz widriger Umstände in dieser Familie spürt man überall in diesem Roman die Zuneigung zu den oft schwierigen Eltern. Und das unerschütterliche Vertrauen in diese, selbst in schwierigsten Situationen. Instinktiv spürt sie, wie ihre Eltern sich quasi aufopfern für ihre Kinder, sich förmlich selbst aufgeben, um einen geregelten Tagesablauf hin zu bekommen. Sie hat Verständnis für ihren Vater und versucht bestmöglich, seinen nach außen wirkenden Schein aufrecht zu erhalten. Das ist eine ihrer Heldentaten und manche kann sie nur leisten, weil sie innerlich in die Rolle der mutigen Oscar schlüpft.

Der Schreibstil ist so herrlich, dass ich förmlich durch die Seiten gerauscht bin. Obwohl ich generell eher zum langsamen Genusslesen neige. Hier jedoch habe ich noch beim rasanten Lesen genießen können und ich habe es wirklich genossen!  Mir ist schon länger nicht mehr passiert, dass ich mir gewünscht habe, ein Buche hätte 200 Seiten mehr gehabt. Bei diesem schon. Ein wunderbares Buch!