Thema verfehlt

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evelynmartina Avatar

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Was hätte man aus dem interessanten Thema einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen Jung und Alt alles machen können!
Aber Marie-Renée Lavoie gelingt es in ihrem Roman „Ich und Monsieur Roger“ meiner Meinung nach nicht, eine in sich schlüssige und überzeugende Geschichte zu erzählen, die fesselt und Eindruck hinterlässt.

Dabei startet der Roman noch recht vielversprechend.

Die achtjährige Hélène gibt sich als Junge und älter aus, um Zeitungen austragen und dadurch ihre Familie finanziell unterstützen zu können. Eines Tages zieht ins Nachbarhaus der achtzigjährige Roger ein, ein komischer alter Kauz, der um keinen Fluch verlegen ist.

Es deutet sich der Beginn einer besonderen Beziehung eines ungleichen Paares an, doch im Verlauf der Handlung tritt diese zunehmend in den Hintergrund. Die Hauptfigur ist und bleibt Hélène, ein mutiges, für ihr Alter ziemlich kluges Mädchen, das sich gemäß ihres Vorbildes einer Zeichentrickfigur aus der Zeit der Französischen Revolution durch den steinigen Alltag schlägt. Über Roger erfährt der Leser sehr wenig. Er taucht immer dann auf, wenn sich Hélène oder eines der Familienmitglieder in einer brenzligen Situation befindet, um danach sofort wieder in der Versenkung zu verschwinden.
Weitere, zum Teil äußerst merkwürdige Personen treten auf. Die Autorin betreibt fast eine Milieustudie einer französischen Stadt, die sich zwar ganz nett lesen lässt, aber das Eigentliche vernachlässigt, nämlich die Bekanntschaft zwischen Hélène und Roger, in die ich gerne tiefer gegangen wäre.

Zudem treffen sprachlich in der Ich-Erzählung wahre Gegensätze aufeinander, die mich immer mehr gestört haben. Zum einen kurze Dialoge, geprägt von Roger’s derber Ausdrucksweise, zum anderen nahezu poetische Beschreibungen, die in keinster Weise der Redensart einer Achtjährigen entsprechen.
Der Charme eines typisch französischen Romans und der verschmitzte Humor, die auf den Anfangsseiten noch zu spüren waren, verlieren sich leider fortlaufend.
Das Ende wirkt zusammengeschustert. Manch eine Figur erleidet das gleiche Schicksal, was Einfallsreichtum und Originalität vermissen lässt..

Schade, ich hatte mich auf „Ich und Monsieur Roger“ wirklich gefreut, und am Schluss war ich froh, als ich das Buch endgültig zuschlagen konnte.