Wenige Seiten, aber mit Tiefgang

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mike nelson Avatar

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Hat ein Autor einmal ein richtig erfolgreiches Buch geschrieben, dann schauen Verlage ja bekanntlich gerne nach älteren Texten, die man dann zeitnah veröffentlichen kann, in der Hoffnung an den vorangegangenen Erfolg anknüpfen zu können. Das gelingt nicht immer. Mit Hervé Le Tellier's neuer Geschichte (Novelle) "Ich verliebe mich so leicht" - erstmals erschienen in 2007 - ist es aber gelungen. Über gerade einmal 113 Seiten hinweg wird eine etwas andere Geschichte erzählt, die verdeutlicht, "dass Verrücktheiten die einzigen Dinge sind, die man niemals bereut." Es ist die Geschichte eines "amourösen Schiffbruchs". Was tut man nicht alles, wenn man verliebt ist: "Unser Held" (der namenlos bleibt) hat sich in eine 20 Jahre jüngere Frau verliebt und reist ihr spontan mit dem Flugzeug von Paris in ihre Heimat Schottland hinterher, um sie dort zu treffen und der Liebe eine Gestalt zu geben; leider ist die Angebetete, die 'unserem Helden' wohl auch als Jungbrunnen soll, bereits in einer Partnerschaft. Und natürlich kommt sowieso alles anders als erwartet, sonst würde es sich ja nicht um einen 'amourösen Schiffbruch' handeln. Das Besondere an der Geschichte ist die Art wie sie erzählt ist: Wie in einem Film für Hör- und/oder Sehbeeinträchtigte Menschen - als ein die Bilder begleitender Audiokommentar ergänzt durch Untertitel. Und die besondere Fähigkeit des Autors liegt in der Beschreibung von Nuancen des Fühlens und des Reflektierens: "Unser Held lässt sich nach und nach von der Melancholie unterkriegen, von Ängsten überwältigen. Er fürchtet plötzlich, dass mit ihr nichts jemals gewonnen ist. Dass sie jederzeit sein Leben verlassen kann, dass sie ihn seinem Schicksal als demnächst alter Mann überlassen wird, dem sie ein Leben mit Zukunft vorzieht. Wie will er ihr das zum Vorwurf machen? Ihr gehört die Welt, unser Held fühlt sich wie auf Bewährung. Sie ist dreißig Jahre alt, also fast noch zwanzig. Er fünfzig, da kann man auch gleich sechzig sagen. Wenn er diese morbide Logik umkehren würde, hätten sie beide dasselbe Alter, aber jetzt ist nicht der Augenblick für Optimismus." Und klug ist es zudem "..., dass die Jugend, die absichtslos verführerisch ist, nicht immer aufs Verführen aus ist. Das reife Alter verschwendet von morgens bis abends all seine Kraft darauf." Ein viel zu schmales Bändchen - da hätte man gerne mehr! Aber manchmal ist weniger halt mehr!!!