Ida

Ein gewaltiger Lebensroman

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dajobama Avatar

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Bereits für das Manuskript dieses Debütromans erhielt die talentierte junge Autorin Katharina Adler ein Literaturstipendium. Sie erzählt die Geschichte ihrer Großmutter Ida Bauer, später Adler, einer starken Frau in stürmischen Zeiten, die in einer frühen Form des Feminismus um Selbstbestimmung kämpft und sich nicht unterkriegen lässt.

Der Roman beginnt mit der 58-jährigen Jüdin Ida, die 1941 auf der Flucht vor den Nationalsozialisten zu ihrem Sohn und dessen Frau in eine kleine Wohnung in Chicago zieht. Gefangen in ihren Erinnerungen und ihrer Vergangenheit, ist sie trotz großer Müdigkeit und Entwurzelung eine äußerst resolute und eigensinnige Dame, die ihren Weg mit Entschlossenheit und bissigem Humor meistert.

„Wenn man schon längst die Tür hinter einer Sache geschlossen hat, und dann wird sie jäh und ohne dass man es wünscht wieder aufgerissen. Wenn man sich denkt, jetzt ist so viel Leben vergangen, jetzt hat man so viel mitgemacht. Wenn man schon längst die Tür geschlossen hat,…“ Seite 39

Im weiteren Verlauf erfährt der Leser, dass es sich bei Ida um die bekannte Patientin Sigmund Freuds, genannt Dora, handelt.

Die Autorin zäumt das Pferd quasi von hinten auf, indem sie weit in die Vergangenheit zurückgeht, um 1900, in die Kindheit und Jugend Idas. Schon als Mädchen leidet sie unter diversen Beschwerden, ohne dass organische Ursachen ausgemacht werden können. Schließlich begibt sie sich als 18-jährige in Wien in die Behandlung eines gewissen, damals noch recht unbekannten Sigmund Freud, der die Hintergründe ihrer Symptome in der Psyche vermutet. Nach kurzer Zeit jedoch bricht Ida diese Behandlung eigenmächtig wieder ab…

Ida ist beileibe kein sympathischer Charakter, doch ist es wohltuend, dass die Autorin da auch gar nichts zu beschönigen scheint. Gnadenlos ehrlich beschreibt sie die Großmutter in ihrer Emotionslosigkeit und Selbstbezogenheit. Obwohl sie bereits als Kind schwierig war, kann man als Leser die Entwicklung einiger Eigenheiten auf die schwierigen Lebensumstände zurückführen. Für die Geschichte hat diese Persönlichkeit etwas Faszinierendes und hat mich überhaupt nicht gestört.

Die Kapitel, die Idas Kindheit und Jugend betreffen, auch die Behandlungszeit bei Herrn Freud, fand ich ganz hervorragend und haben mich sehr stark interessiert und mitgenommen. Obwohl ich es generell gerne mag, wenn eine Geschichte in den zeitlichen Kontext eingebettet ist, (immerhin erlebt und überlebt Ida als Jüdin zwei Weltkriege!) konnten mich leider die Kapitel über Idas Bruder Otto, seine politische Karriere und die politischen Ereignisse, kaum fesseln. Den Mittelteil fand ich hier etwas zu distanziert und langatmig.

Gerade das Thema der psychischen Krankheiten ist auch heute noch hochaktuell. In jener Zeit aber war Freuds Ansatz revolutionär. Seine Behandlung Idas fand ich sehr interessant, auch die negativen Aspekte, etwa die Unterstellungen, welche seinen Interpretationen entsprangen. Teils musste ich darüber schmunzeln, für Ida war es aber wohl alles andere als lustig.

Die einfache, deutliche Sprache dieses Romans hat mir sehr gut gefallen. Die recht häufigen Sprünge in der Zeit wären meiner Meinung nach nicht unbedingt nötig gewesen und behindern eher den Lesefluss. Es ist ein Buch, das einen aufmerksamen und geduldigen Leser erfordert. Ich habe es sehr gern gelesen, doch die anfängliche Begeisterung nach den ersten Seiten konnte sich leider nicht bis zum Ende halten.

Nichtsdestotrotz zeichnet die Autorin gekonnt und einfühlsam das Leben dieser bemerkenswerten Frau nach. Lesenswert!