Ida

Von Sigmund Freuds Sofa ins bewegte Leben

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Die Autorin Katharina Adler bringt Licht in ihre eigene Familiengeschichte, denn es war ihre Urgroßmutter Ida, die in ihrer Jugend auf dem Diwan von Sigmund Freud lag und Objekt einer seiner bekanntesten psychoanalytischen Fälle wurde. Gleichzeitig führt sie die Leser durch ein Österreich von der Kaiserzeit, durch die Zeit der Republik bis zum "Anschluss"  an das Deutschland des Dritten Reichs.

Urahnin Ida Bauer war dereinst Sigmund Freuds  umstrittener "Fall Dora". Doch wer war sie eigentlich?

Ida
Ida Bauer-Adler (1882 -1945) wurde in eine wohlhabende jüdische Familie geboren, die zeitweise in Wien oder Meran lebte. Ihr Vater Philipp Bauer war Textilfabrikant, politisch liberal gesonnen, privat ein Lebemann. Ihr um ein Jahr älterer Bruder Otto Bauer war ein bekannter und führender österreichischer Sozialdemokrat.

Inhalt
Bei Ida tauchen seit ihrer Kindheit Migräne, nervöser Husten, später zeitweise Aphonie (Stimmverlust) auf. Die familiäre Situation ist belastend. Sie erlebt, wie der Vater sich in der Ehefrau eines Bekannten (Herr K.) eine langjährige Geliebte hält und rebelliert zunehmend gegen dieses außereheliche Verhältnis. Zudem ereignen sich mehrmals bedrängende Übergriffe des Herrn K. der pubertierenden Ida gegenüber, die sie heftig abwehrt.

Philipp Bauer ist wegen seiner Syphilis bereits Patient von Sigmund Freud. 1898 stellt er seine Tochter zum ersten Mal bei Freud vor. Als Ida 18 Jahre alt wird, gibt er sie wegen ihrer "Krankheiten" und in der Hoffnung, dass sie danach handhabbarer wird, erneut in die Behandlung des Psychoanalytikers. Jeder der drei verfolgt ganz unterschiedliche Interessen.

Die Eltern ignorieren die Übergriffe, da scheint wohl ein Einverständnis der Männer zu herrschen. Der damals noch nicht berühmte Psychoanalytiker Freud diagnostiziert bei dem jungen Mädchen eine "petite hystérie" und hofft, mit ihrem Fall seine neu entwickelten Thesen z.B. zur "Übertragung" zu bestätigen. So wendet er z.B. auch die Traumdeutung an. Doch jede ihrer Äußerungen wird von ihm in den sexuellen Bereich interpretiert. Ida leidet darunter, dass sie zu sexuellen Geständnissen gedrängt werden soll, die ihr einen  verlangenden Anteil an den Übergriffen des viel älteren Familienfreundes unterstellen wollen.

Bis dahin hat sich Ida pflichtbewusst den Forderungen der Familie gebeugt, doch jetzt geht sie einen selbstbewussten, mutigen Schritt. Nach drei Monaten bricht Ida Bauer von sich aus die Analyse ab und gibt Freud zu verstehen, was sie von seinen Methoden hält. Was für eine Befreiung sie dabei empfindet!

Während die Wissenschaft danach nur diese Zeit des "Fall Dora" im Blick hat, zeigt uns der Roman, welchen Weg Ida bis zu ihrem Tod weitergeht. Sie wird Ehefrau und Mutter, muss als Witwe jüdischer Abstammung über Frankreich nach Casablanca fliehen und erreicht gerade noch das letzte Schiff Richtung USA. Dort macht ihr Sohn Karriere als Operndirektor in San Francisco. Ein nicht einfacher und teilweise auch recht gefahrvoller Lebensweg ist zu bewältigen.

Meine Meinung

Die Autorin hat die Biographie ihrer Urgroßmutter recherchiert, aber im Detail ist der Roman fiktional. Ida ist ein sehr ambivalenter Charakter, mal mit mehr, mal mit weniger sympathischen Seiten. Der Lauf der Geschichte zwingt sie zu Strenge; Mut und Stärke, dabei behält sie ihre Eigenwilligkeit. Sie wird als sehr engagiert und auch unbequem dargestellt.

Sehr eindrucksvoll fand ich die Schilderung ihrer Jugend und die Zeit der Analyse. Was für eine erschreckende Situation für eine so junge Frau! Ihr Verhältnis zu Männern blieb dadurch gewiss nicht unbeeinflusst. Mein Blick auf die Psychoanalyse nach Freud ist dadurch deutlich kritischer geworden.

Idas Biographie ist eng mit der europäischen Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbunden, so bekommt der Roman noch eine andere Dimension. Dabei habe ich noch einiges über das politische Geschehen in Österreich zu jener Zeit erfahren.

Im Erzählverlauf ändern sich gelegentlich die Perspektiven. Die wechselnden Zeitebenen sind einerseits sehr interessant, gelegentlich aber auch etwas zu viel des Guten. Anhand der genauen Zeitangaben zu Kapitelanfang kann man sich aber gut orientieren.

Ein durchaus interessanter und empfehlenswerter Roman