Wie ein grelles Polaroid

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singstar72 Avatar

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"Roman" hätte ich dieses kleine Buch nicht unbedingt genannt - Kurzroman vielleicht, oder auch Novelle. Denn die Erzählung ist sehr kurz, gerade mal 124 Seiten, und bietet auch eher ein Schlaglicht auf eine Handlung, als einen ausgewachsenen Plot.

Das wäre auch mein Hauptkritikpunkt. Man fängt mitten in der Geschichte an, bekommt wenig Hintergründe zum Leben der Heldin. Die Zeitabläufe sind größtenteils unklar; mittendrin stellt man z. B. fest, dass Monate oder Wochen vergangen sind, ohne dass das kenntlich gemacht wurde. Auch das Ende scheint wenig organisch aus dem Vorhergegangenen hervorzugehen. Es ist dann einfach zu Ende, mit vielen offenen Fragen und einem sehr seltsamen Moment zum Schluss. Fast ein wenig surreal.

Weitere Kritik: im Klappentext wird der Skandal um einen J-Pop-Star als Aufhänger benutzt. Im Buch steht der Skandal aber bei weitem nicht im Mittelpunkt. Er wird weder weiter verfolgt, noch letztlich aufgeklärt.

Dennoch ist das Büchlein gut und gerne seine vier Sterne wert. Es ist ein grelles Polaroid, kein Gemälde - aber das Geschilderte ist hochaktuell, und mit sparsamen Mitteln auch realitätsnah geschildert. Die Ich-Perspektive wurde konsequent eingehalten, die Eindrücke in das Leben eines extremen Fans sind unmittelbar und lebhaft.

Sehr seltsam mutet an, dass die Heldin ganz offenbar gleich mehrere psychische "Baustellen" hat, und sich im Grunde keiner näher darum kümmert. Das ist von der Autorin schon gut gemacht - es fallen keinerlei Fachbegriffe, aber man weiß sofort, worum es geht: Depression, Magersucht, wahrscheinlich auch Lernbehinderung und/oder Dyslexie, sowie Messie-Sucht. Vermutlich sieht man das in Japan anders, denn dort ist der "Hikikomori" ja sozusagen schon ein eigener Typus junger Mensch.

Schockiert haben mich die Gegebenheiten in der J-Pop-Industrie - da werden Menschen nach Strich und Faden manipuliert, und das Geld wird ihnen aus der Tasche gezogen!

Das Buch hat eine ganz eigene Faszination entwickelt, die eine Welt schildert, welche wohl die wenigsten Leser kennen werden. Lösungen oder Hintergründe sucht man hier vergeblich - dennoch, eine gute Leseempfehlung gibt es allemal.