Eine Geschichte auf leisen Sohlen

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Als ich das Cover von „Im Leben nebenan“ zum ersten Mal gesehen habe, war ich sofort neugierig. Es ist schlicht und dennoch ausdrucksstark – fast schon poetisch. Das Design wirkt sensibel und modern. Es schreit nicht nach Aufmerksamkeit, sondern lädt dich ein, näher hinzuschauen. Man hat sofort das Gefühl, dass es hier um etwas Echtes gehen wird.

Der Einstieg ist intensiv, fast schon schockierend. Ohne jede Vorwarnung findet man sich in einem intimen, verletzlichen Moment wieder. Der Schmerz, die Sprachlosigkeit, das Alleinsein – all das greift sofort nach einem. Ich saß beim Lesen wie erstarrt da, weil es so nah, so ehrlich und dabei so feinfühlig geschrieben ist. Es geht nicht darum, zu schockieren – sondern darum, zu zeigen, wie Verlust sich anfühlt, wenn er mitten im Alltag aufbricht.

Der Schreibstil ist genau mein Ding. Er ist klar und zugleich voller Tiefe. Anne Sauer schreibt in Bildern, die wirken und trifft so die Zwischentöne. Durch ihren Schreibstil wird eine stille Spannung aufgebaut, die einen sanft durch die Seiten zieht.

Was mich besonders berührt hat, ist Antonia bzw. Toni, wie sie im Alltag genannt wird. Sie ist so greifbar und echt, dass man das Gefühl hat, sie könnte die beste Freundin sein oder man selbst. Ihre Gedanken, ihre Ängste, ihre Widersprüche – alles fühlt sich ehrlich an. Ich erkenne mich in ihr wieder: in ihrer Zerrissenheit, in ihren Fragen nach Nähe, Freiheit, Zukunft. Auch Jakob ist faszinierend – ein Partner, der gleichzeitig Anker und Fragezeichen ist. Und dann plötzlich: Adam. Eine Parallelwelt, ein anderes Leben. Ein Schockmoment, in dem sich Realität und Unwirklichkeit überschneiden – und man als Leserin denkt: Was passiert hier gerade?

Das Setting – zwischen Berliner Altbau, WG-Erinnerungen und Heimaterinnerungen – ist dabei so vertraut wie individuell. Das leise Geräusch der Kaffeemühle, das Knarren der Dielen, der Kinderwagen im Treppenhaus – all das schafft eine Atmosphäre, in der ich mich sofort zu Hause gefühlt habe. Und gleichzeitig spürt man: Irgendetwas stimmt nicht. Etwas ist in Bewegung, und kippt.

Ich erwarte von der Geschichte eine kluge Auseinandersetzung mit Mutterschaft, Beziehung, Verlust und Identität. Wer bin ich, wenn sich mein Leben über Nacht verschiebt? Wenn ich plötzlich in einem anderen Leben aufwache, das ich nie gewählt habe – oder vielleicht doch? Ich glaube, das Buch wird diese Fragen nicht mit einfachen Antworten lösen und genau deshalb möchte ich weiterlesen.

Ich fühle mich bereits nach wenigen emotional verbunden mit der Geschichte. Es ist, als würde Anne Sauer mir meine eigenen Gedanken und Ängste leise ins Ohr flüstern. Ich möchte unbedingt wissen, wie es mit Toni weitergeht. Ob sie sich erinnern kann. Ob sie den Weg zurück oder vielleicht gerade hin zu sich selbst findet.
Ein Buch, das mich sofort gepackt hat – nicht laut, sondern leiste und genau das liebe ich so daran.