Spannendes Gedankenexperiment mit kleinen Schwächen

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leseclau Avatar

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Anne Sauer lässt uns an einem spannenden Gedankenexperiment teilnehmen: Wie könnte das Leben verlaufen, wenn (keine) Kinder hat?

Wir lernen Toni kennen, eine lebenslustige, unabhängige Frau. Die mit ihrem Leben zufrieden scheint: guter Job, gute Beziehung. Wenn sie nicht jeden Monat feststellen müsste, dass ihr Kinderwunsch unerfüllt bleibt. Was dieses Leben nach dem Zyklus, was eine Kinderwunschbehandlung, was die stetigen Rückschläge mit Toni und ihrem Freund machen, erzählt Anne Sauer in kleinen fragmentarischen Episoden. Man spürt förmlich, wie Toni immer dünnhäutiger wird, wie ihr Leben sich reduziert auf ein Thema, wie sie kämpft um ein glückliches Leben.

Und parallel lernen wir Antonia kennen. Sie wacht eines Tages auf mit einem ihr fremden Baby im Arm, in einem Körper mit Kaiserschnittnarbe, den sie nicht kennt, einem Mann und Freunden, die ihr von früher wohl vertraut sind. Völlig überfordert ist Antonia mit der Situation plötzlich ein Baby versorgen zu müssen. Gleichzeitig quält sie die Frage, wie sie nur in dieses Leben geraten konnte.

Und genau hier liegt für mich die Schwäche des Buchs. Auch wenn die Autorin den Kunstkniff am Ende gekonnt auflöst, stört es mich, dass Antonia nicht nur das plötzliche Muttersein zu verarbeiten hat. Es steht viel mehr die Frage im Raum, wie es zu diesem neuen Leben kommen konnte. Antonia verzweifelt daran, nicht zu wissen, wie es ihrem (Toni-) Freund geht, wo ihr altes Leben hin ist und ob sie je dahin zurückkommt.

Dadurch steht für mich weniger die Frage des Mutterseins im Vordergrund, sondern die Hilflosigkeit darüber, nicht zu wissen, wer man ist. Ich weiß nicht, ob und wie das Buch funktioniert hätte, wenn Anne Sauer die zwei Geschichten ohne dieses plötzliche Eintauchen in ein fremdes Leben erzählt hätte. Dennoch hätte ich mir das gewünscht.

Stilistisch gefällt es mir sehr gut, dass die Kapitel für beide Geschichten jeweils von 1 an durchnummeriert werden. Sie werden auch nicht zwingend abwechselnd erzählt, sondern es gibt durchaus mehrere Kapitel zu einer der Protagonistinnen hintereinander. Das ergibt für mich einen schönen Lesefluss.

„Im Leben nebenan“ regt zum Nachdenken und Reflektieren an. Es taucht schonungslos ins Leben einer Frau auf der Suche nach sich selbst ein.