Tolle Idee, aber frustrierend zu lesen

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annnna97 Avatar

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Das Konzept des Romans hat mir sehr gut gefallen. Antonia ist Mitte 30 und lebt mit ihrem Partner zusammen in der Großstadt und hat einen unerfüllten Kinderwunsch. Eines Morgens wacht sie plötzlich in einem anderen Leben auf. Auf einmal lebt sie in einem Haus in ihrem Heimatdorf, ist verheiratet mit ihrem ersten Freund aus Schulzeiten und hat ein Baby, um das sie sich kümmern muss. Sie erinnert sich aber nur an ihr "altes" Leben und ihr kommt alles fremd vor.
Wir Leser begleiten Antonia dabei, wie sie sich mit ihrem alternativen Leben auseinander setzt. Im Wechsel dazu sehen wir sie auch (als Toni), wie sie ihr Leben in der Großstadt ohne Kinder normal weiterlebt.
Die Frage wie unser Leben wäre, wenn wir uns an einem Punkt anders entschieden hätten, stellt sich ja jeder im Laufe seines Lebens und ist immer spannend. Was wäre, wenn ich immer noch mit meiner Jugendliebe zusammen wäre? Was wäre, wenn ich in der Heimat geblieben wäre und nicht in die Großstadt gezogen wäre? Und genauso umgekehrt. Das sind Fragen mit denen sich wahrscheinlich fast jeder identifizieren kann und die das Buch sehr realistisch machen, obwohl es Magic Realism ist. Und das hat Anne Sauer auch gut umgesetzt.

Das Buch setzt sich sehr stark mit Kinderfrage auseinander und wie unsere Gesellschaft mit Frauen in Relation dazu umgeht. Es behandelt einen unerfüllten Kinderwunsch sowie gar keinen zu haben, ungewollte Mutterschaft, postpartale Depressionen und generell die Schwierigkeiten und die schönen Seiten der Mutterschaft. Es wird auch viel darauf eingegangen, wie ein Kind sowie ein unerfüllter Kinderwunsch sich auf eine Beziehung auswirkt.
Es ist auf jeden Fall ein sehr wichtiges und lesenswertes Buch, da es sich realistisch und überhaupt nicht verklärt bzw. romantisierend mit dem Thema Mutter sein/ nicht sein auseinander setzt.

Leider fand ich das Buch insgesamt zu frustrierend, also zu negativ und deprimierend, da Antonia eigentlich in beiden Versionen ihres Lebens irgendwie unzufrieden ist. Viele sagen, dass absichtlich kein Leben besser als das andere dargestellt wird, aber am Ende ist sie in beiden Versionen die meiste Zeit unglücklich. Ich verstehe ja, dass es realistisch sein soll, aber so war das irgendwie nicht besonders lebensbejahend zu lesen. Außerdem hat mich ein bisschen der Stellenwert der Kindfrage gestört, so als ob Frauen sich nur über das Mutter sein oder nicht Mutter sein definieren. Mir hat irgendwie die Perspektive einer Frau gefehlt, die nie einen Kinderwunsch hatte und damit zufrieden lebt, was auch viele Leute betrifft. Für mich als eine Frau ohne Kinderwunsch fühlte es sich am Ende so an, als ob die zweite Antonia sich einfach nur damit abgefunden hat kinderlos zu sein, nachdem es nicht funktioniert hat und nicht, als ob sie sich bewusst dazu entschieden hat. Daher fand ich nicht, dass beide Versionen "gleichwertig" behandelt wurden. Es liest sich wie ein Buch, das versucht das ganze Thema feministisch zu behandeln, und auch teilweise gute Gesellschaftskritik beinhaltet, aber am Ende in der Frage doch zu oberflächlich bleibt.

Insgesamt finde ich aber trotzdem, dass es ein sehr lesenswertes Buch ist, vor allem wenn man sich selber mit der Frage, ob man Kinder möchte oder nicht, auseinander setzt, und würde es vor allem Frauen in den 20er und 30er Jahren empfehlen.