„Was wäre, wenn?“

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Was wäre, wenn dein Leben eine andere Abzweigung genommen hätte?
Anne Sauers Debütroman erzählt von Antonia, die eines Morgens in einem Leben erwacht, das sie nicht kennt – aber vielleicht hätte führen können. Zwischen Altbauwohnung und Dorfhaus, Partner und Ex-Liebe, Kinderlosigkeit und Mutterschaft verhandelt dieser Roman große Fragen weiblicher Selbstbestimmung – und bleibt dabei sprachlich leicht, aber emotional tief.

Was hat das Buch bei mir ausgelöst?
Der Einstieg hat mich sofort gepackt. Die Idee, zwei Lebenswege parallel zu erzählen, hat enorm viel Potenzial – besonders weil Mutterschaft, Care-Arbeit, Reproduktionsmedizin, Zyklus-Tracking, Partnerschaft nach Fehlgeburt oder auch bewusste Kinderlosigkeit sonst selten so komplex verhandelt werden.

Einige Szenen hallen lange nach – etwa, wenn Toni „nur noch zur Beruhigung“ ihren Eisprung ignoriert oder während der hormonellen Behandlung Wut empfindet: „Er würde einfach nur an sein Erspartes ranmüssen. Nicht an seinen Körper, seine ganze Existenz.“ (S. 132)

Die Beobachtungen zur strukturellen Überforderung von Frauen im System – in Beziehungen, im Gesundheitssystem, in der Arbeitswelt – sind pointiert, ohne belehrend zu sein. Die ironischen Dialoge (Stichwort: Parenthood Prime) und kluge Zeilen wie „Wenn sie sich heute anfassten, dann oft versehentlich“ (S. 213) zeigen, wie Intimität im Alltag zu verschwinden droht.

Gegen Ende hat mich der Roman ein wenig verloren: Die Offenheit des Schlusses war mir persönlich zu vage. Trotzdem bleibt viel hängen – besonders das leise Nebeneinander von Nähe und Entfremdung, Hoffnung und Erschöpfung.

Für wen ist das Buch interessant?
Für alle, die sich für feministische Gegenwartsliteratur interessieren, sich in Fragen rund um Kinderwunsch, Körper, Care oder Entscheidungsmüdigkeit wiederfinden – oder einfach Bücher mögen, die mehr über das Nichtgesagte erzählen als über das Offensichtliche.

Fazit
Ein sprachlich kluges, emotional vielschichtiges Debüt über Entscheidungskonflikte und das Recht auf ein Leben jenseits gesellschaftlicher Erwartungen. Besonders stark in den Beobachtungen zu weiblicher Selbstwahrnehmung und dem, was es bedeutet, gleichzeitig Kind, Partnerin, Mutter, Freundin und Arbeitnehmerin sein zu sollen – oder eben nicht.

Triggerhinweis: Das Buch enthält sensible Themen wie Fehlgeburt, unerfüllten Kinderwunsch, medizinische Eingriffe und postpartale Erschöpfung.

Danke an @vorablesen.de, @fuxbooks & @dtv_verlag für das kostenlose Lese-/Rezensionsexemplar.