Was wäre wenn...

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steflu Avatar

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Die große K-Frage

Wer hat sich nicht schon einmal die Frage gestellt: war wäre gewesen, wenn… Genau damit beschäftigt sich Anne Sauer in ihrem ersten Roman „Im Leben nebenan“. Was wäre, wenn ich Mutter geworden wäre? Wie würde mein Leben verlaufen?

Variante 1: Toni und ihr langjähriger Freund lieben ihren unabhängigen Lebensstil und haben sich trotzdem entschieden, in das Thema Familienplanung einzusteigen. Allerdings will sich partout kein Nachwuchs einstellen. Obwohl sie sich geschworen haben, ihre Lockerheit nicht zu verlieren, finden sie sich unversehens in der Spirale aus Arztbesuchen, Hormonspritzen und Sex nach Plan wieder. Mit der Konsequenz, dass ihre Partnerschaft mehr und mehr leidet…

Variante 2: Antonia erwacht eines Tages in einem großzügigen, neugebauten Eigenheim im Dorf ihrer Kindheit. Sie ist komplett verwirrt. Wie kommt sie hierher? Warum ist da plötzlich ein Baby, das auf ihre Fürsorge angewiesen zu sein scheint? Und warum teilt sie sich das Bett mit ihrer ersten großen Liebe?


Frauen – Verliererinnen an allen Fronten?

Für mich steht in Bezug auf „Im Leben nebenan“ eine Frage über allem: kann ich als Frau überhaupt gewinnen? Oder bin ich eine Verliererin, egal wie ich mich bezüglich der Kinderfrage entscheide (oder noch schlimmer, wie die Biologie für mich selbst in dieser Frage entscheidet)? Anhand der Lektüre von Anne Sauers Buch liegt der Verdacht nahe, dass ich als Verliererin dastehen werde, egal welche Abzweigung ich nehme.

In Variante 1 durchläuft Toni aufgrund ihres unerfüllten Kinderwunsches eine emotionale Hölle und droht, nicht nur sich selbst, sondern auch ihren Partner zu verlieren. Ich finde es erschreckend und logisch zu gleich, wie sehr ein unerfüllter Kinderwunsch das komplette Leben einer Frau auf den Kopf stellt.

Leider erscheint Variante 2 kaum lebenswerter. Denn hier kämpft Antonia damit, den Bedürfnissen eines Säuglings und den Erwartungen ihres Umfelds gerecht zu werden. Auch den Verlust des Gefühls, Herrin über den eigenen Körper zu sein, stellt sie roh und lebensnah dar.


Intensiv und authentisch

Für mich hat sich das komplette Buch unglaublich intensiv angefühlt. Ich habe mich gefragt, woran das liegt. Und bin zum Schluss gekommen, dass Anne Sauers Art, tief in das Seelenleben ihrer Protagonistin einzutauchen, hierfür verantwortlich ist. Für mich hat sich jeder Satz in „Im Leben nebenan“ authentisch angefühlt. Was ich faszinierend finde, da die Autorin selbst keine Kinder hat. Es muss also eine sehr tiefgehende Recherche gewesen sein, um Antonias Lebensvariante so echt darzustellen.



Fazit

Ein Buch, das mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Meiner Meinung nach ist es Anne Sauer gelungen, den Frauen ihrer Generation eine Stimme zu verleihen. Gerade in diesen politisch aufgewühlten Zeiten, in denen es Bewegungen gibt, gebärfähige Menschen in die Mutterrolle zu zwingen, halte ich es für unglaublich wichtig, dass solche Geschichten erzählt werden. Danke, Anne Sauer!

Beschließen möchte ich diese Rezension mit einem wunderschönen Zitat aus „Im Leben nebenan“:

„Sie ist nicht allein, sie ist nur für sich.“