Ein Jahr, eine Geschichte

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abibliophobia Avatar

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Öfter mal etwas Neues probieren war mein Motto für dieses Buch. Daher widme ich mich diesmal einem Sachbuch zur deutschen Geschichte, genauer gesagt zum Jahr 1923, obwohl ich Geschichtsbüchern seit der Schulzeit bewusst aus dem Weg gehe. Das Cover spricht mich nicht direkt an, was aber wie gesagt an meiner offenkundigen (früheren) Abneigung gegenüber Geschichtsbüchern liegt. Dafür bin ich absoluter Fan der goldenen Zwanziger und um es vorweg zu nehmen: jetzt auch von Geschichtsbüchern, wenn sie so geschrieben sind wie dieses hier.
Die Aufteilung des Buches nach Kalendermonaten spricht mich direkt an und passt hervorragend zur restlichen sehr guten Strukturierung dieser Lektüre. Die Schwarzweiß-Fotos zu Beginn der Kapitel sind mit einer liebevollen und informativen Bildbeschreibung versehen und heben sich auf schwarzem Hintergrund sehr schön ab.
Wie bereits erwähnt bin ich im Geschichtsbereich wirklich nicht bewandert, daher war ich umso gespannter, ob dieses Buch mich zu fesseln vermag. Die kurzen Einführungen in kursiver Schrift vor jedem Monat und die prägnanten Erklärungen sind auch für Geschichtslaien verständlich formuliert. Mit einer Prise Humor und Sarkasmus kommen die kurzen, intelligent formulierten Sätze daher.
Vielleicht ist es sogar von Vorteil, dass ich einige Personen nicht kenne, so hat man eine vorurteilsfreie Sicht auf die Geschehnisse. Das Buch ist voller schöner Sätze wie „wer die Welt von unten kennt, kennt die Sehnsucht nach ganz oben!“. Treffende Formulierungen, die wunderbar in die damalige Zeit passen. Das Buch bietet Informationen wie am Fließband, ohne auch nur einmal überladen zu wirken, im Gegenteil, es ist äußerst fesselnd. Die Übergänge sind fließend, eine Formulierung ist gekonnter, als die andere.
Es macht absolut Lust auf deutsche Geschichte, immer wieder habe ich es zur Seite gelegt, um noch mehr Hintergründe zu recherchieren. Bereits im Monat Februar war ich überwältigt davon, was in einem Jahr alles geschehen kann. Die Inflation wird immer wieder eingebracht und steht für die Schnelligkeit und den Verfall der Werte.
Während des Lesens musste ich immer wieder an meine verstorbene Oma denken, die 1925 geboren ist. Wenn es ein Buch schafft, dass man sich herbeisehnt mit seiner Verwandtschaft nochmal über die Zeit zu sprechen und Fragen zu stellen, hat man als Autor alles richtig gemacht.
Jeder Bereich, sei es Literatur, Unterhalten, Landwirtschaft oder Kunst, ist unfassbar spannend erzählt. Da ich aus dem Ruhrgebiet komme ist der Bezug dazu ebenfalls ein weiterer interessanter Punkt.
In der aktuellen Situation ist es durchaus beklemmend über die grausamen Zustände zu lesen, gerade die Knappheit der Lebensmittel und die Inflation lesen sich wie ein worst case Szenario unserer baldigen Zukunft. Dennoch ist das Buch uneingeschränkt empfehlenswert und die Kurzbiografien und weiteren Werdegänge der deutschen Persönlichkeiten am Ende des Buches runden dieses großartige Buch erfolgreich ab.