Clash of cultures: Ein moderner und gesellschaftskritischer Entwicklungsroman

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gaudbretonne Avatar

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Auch wenn das Cover des Romans durch den Affen sehr verspielt wirkt, ist der Plot alles andere als eine leichte Lektüre: Spencer Wise entführt den Leser ins „Reich der Schuhe“, nach China, wo gesellschaftliche Probleme wie Ausbeutung, Unterdrückung und politische Ränkespielchen rund um eine potente Schuhfabrik dargestellt werden. Mittendrin der junge, jüdische Juniorchef, Alex Cohen, der versucht, in die (zu?) großen Fußstapfen seines erfolgreichen Vaters und Leiters des Unternehmens zu treten und sich dabei emanzipiert.

Alex, aus den USA stammend und von Beruf Sohn, soll fortan die florierende Schuhfabrik seines dominanten Vaters Fedor in der chinesischen Stadt Foshan leiten. Doch obwohl Alex zum Geschäftsführer ernannt wurde und sich große Mühe gibt, bevormundet sein Vater ihn stetig und lässt ihn spüren, dass er unfähig sei. In dieser Situation verliebt er sich in die chinesische Arbeiterin Ivy. Durch sie verlässt er seine Scheinwelt und wird auf die schlechten Arbeitsbedingungen und die politische Situation aufmerksam, in der sich die Arbeiterinnen befinden - was er bis dato erfolgreich verdrängte. Sie ist es, die ihn hinter die Kulissen blicken lässt. Ergriffen nimmt er sich vor, die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in seiner Firma künftig zu verbessern und stößt dabei an Grenzen, die vom politischen und wirtschaftlichen System Chinas gesetzt werden, aber auch zu Konflikten mit seinem jüdischen Vater führen, der als Kapitalist gute Miene zum bösen Spiel betreibt.

Dabei entwickelt sich Alex, geprägt von Selbstzweifeln und durch erschütternde Erfahrungen mit dem chinesischen System und seinem kapitalistischen Vater, glaubhaft im Sinne eines modernen Entwicklungsromans, denn er erkennt zwar zunehmend Ungerechtigkeiten, kann sie aber nicht umgehend abstellen. So wird das Bedürfnis nach Emanzipation und Abgrenzung des erwachsenen Sohnes von seinem Vater durch den Gewissenskonflikt in Bezug auf die Arbeits- und Lebensumstände der in der Fabrik beschäftigten Arbeiterinnen massiv katalysiert.
Daneben werden aber auch Parallelen zwischen der Stellung der Juden in der westlichen Gesellschaft zum Leben in China gezogen, die zum „Clash of cultures“ in Bezug auf Alexs Entwicklung führen und dem Leser tiefe und spannende Einblicke in die Kultur des Judentums gewähren. Sie erklären (bedingt) das Verhalten des Vaters, verdeutlichen aber das Gefühl von Verlorenheit, das den Protagonisten im Hinblick auf seine Zugehörigkeit auszeichnet. Letztlich lebt die Handlung von den drei starken Figuren und ihren Konflikten.

So wie sich der Protagonist entwickelt, entwickelt sich auch die gesamte Erzählung. Hier fehlen große Spannungsbögen, es geschieht viel mehr im Kleinen, in den Reflexionen und Gesprächen der Figuren, die die Handlung dennoch interessant gestalten. Eine direkte, ehrliche und unglaublich facettenreiche Sprache, die je nach Kontext mal härter und mal sensibler daherkommt, kennzeichnet zudem den Stil des Romans, der autobiografisch gefärbt ist, denn leitmotivisch begleitet den Leser das Thema „Schuhe“, das auch eine große Rolle im Leben des Autors spielt. Eine gut dosierte Prise amerikanischen Humors runden die Erzählkunst ab.

Spencer Wise legt daher mit „Im Reich der Schuhe“ einen erstklassigen, gesellschaftskritischen und ungemein sprachgewaltigen Debütroman vor, den man nicht einfach so nebenbei konsumieren kann.