Gleichnis zum Nachdenken

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dj79 Avatar

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Alex Cohen, ein 26-jähriger Bostoner Jude, wird Teilhaber in der chinesischen Schuhfabrik seines Vaters. Sie stellen Billigschuhe und Kopien von Bestsellern als Eigenmarken für die großen Kaufhausketten her. Dabei sprüht Alex vor Kreativität, hatte sich doch im Studium schließlich mit Design beschäftigt. So richtig motiviert wirkt Mr. Younger Cohen hinsichtlich des Geschäfts seines Vaters auf mich zunächst nicht. Dann taucht er ein ins Geschäft, lernt die beteiligten Leute kennen, stößt auf unbequeme Wahrheiten. Begleitet von einem fast schon naiven Idealismus, den sein Vater nicht kennt, und großer Angst vor der chinesischen Staatsmacht, bringt Alex Veränderungen ins Laufen.

Diese Geschichte erzählt vom Erwachsenwerden im Job, von geschönter sorgloser Vorstellung, die von der Realität eingeholt wird. Sie öffnet unsere Wahrnehmung zu den Auswirkungen maßlosen Konsums. Immer schneller und günstiger möchten wir neue Produkte kaufen. Was unser Kaufverhalten für die Arbeiter:innen auf der anderen Seite der Welt bedeutet, wird hier in den Vordergrund gestellt. Den chinesischen Wanderarbeiter:innen widerfährt eine immense Ungerechtigkeit, die für den jungen jüdischen Chef Parallelen mit der Unterdrückung des eigenen Volkes im Zweiten Weltkrieg aufweist. Es ist schon bitter, wenn man das liest und sich bewusst macht.

Die Auseinandersetzung mit der Wirkungskette Konsum – Preisdruck – Ausbeutung/Unterdrückung hat mir gut gefallen. Insbesondere waren die verschiedenen Interessengruppen in China kontrovers ausgearbeitet. Die herrschende Atmosphäre der Angst kam glaubwürdig rüber. Dabei war die Hin- und Hergerissenheit des Protagonisten ausschlaggebend. Was passiert, wenn man das Richtige tut? Wem kann man vertrauen? Dieses Reflektieren von Alex Cohen, der bis dato von Beruf hauptsächlich Sohn war, hat mich schon beeindruckt. Obwohl die Situation brenzlig war und zu Kippen drohte, hat er sich gleichzeitig seinen jüdischen Humor, den ich sehr mag, nicht nehmen lassen.

Am Ende konnte Alex in meiner Wahrnehmung den großen Fußstapfen seines Vaters entkommen, zumindest so wie ich das relativ offene Ende interpretiere. Zum Ende hin hätte ich mir zwar gern noch ein paar mehr Schwierigkeiten gewünscht, das hätte den Spannungsborgen zum Äußersten getrieben.

Insgesamt bin ich sehr zufrieden mit dem Roman und empfehle ihn gern weiter.