Fesselnde Zeitreise ins letzte Jahr der DDR!

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Inhalt
Der erste Teil des Romans, der ca. ein Drittel des Umfangs einnimmt, spielt im Frühjahr 1988 und schildert die Lebens- und Arbeitsumstände des fünfundzwanzigjährigen Obermeisters bei der Volkspolizei, Tobias Falck. In Dresden kommt es zu verschiedenen Straftaten: ein ABV (Abschnittsbevollmächtigter), bei dem Falck sich dienstlich melden soll, stürzt im Treppenhaus seines Wohnhauses zu Tode, im betreffenden Stadtviertel kommt es zu mysteriösen Leichendiebstählen und verschiedene Frauen sowie ein Kind werden sexuell belästigt. Falck ist ein engagierter junger Polizist, der in all diesen Fällen ermitteln möchte, er wird jedoch von seinen Vorgesetzten permanent ausgebremst. Der Todessturz des ABV soll als Unfall zu den Akten gelegt werden, obwohl die Umstände auf ein Tötungsdelikt hinweisen und auch die anderen Vorfälle sollen unter den Teppich gekehrt werden, da es solche Straftaten in der DDR offiziell nicht gibt.
Im zweiten Teil, der kurz nach der Öffnung der Mauer im November und Dezember 1989 angesiedelt ist, tritt Falck seinen Dienst beim KDD an und bekommt es mit einer ganz neuen Art von Verbrechen zu tun. Offensichtlich haben sich Kriminelle aus dem Westen in den Osten begeben, um hier neue „Geschäftszweige“ im Bereich des Drogenhandels und Rotlichtmilieus zu etablieren; Falck, sein wenig umgänglicher Chef Edgar Schmidt und seine Kollegin Steffi Bach bekommen Besuch von Sybille Suderberg, einer westdeutschen Kriminalkommissarin, die einen untergetauchten Auftragskiller sucht.

Beurteilung
„Im Schatten der Wende“ ist kein Kriminalroman im üblichen Sinne, bei dem ein einziges Verbrechen im Zentrum des Geschehens steht und aufgeklärt wird. Vielmehr handelt es sich hier um eine Erzählung, die ein Stück Zeitgeschichte transportiert und dabei die gravierenden Unterschiede zwischen der BRD und der DDR aufzeigt, nicht nur im Umgang mit und bei der Aufklärung von Verbrechen, sondern auch in Bezug auf die Lebensverhältnisse in den beiden deutschen Staaten.
Die Volkspolizei der DDR ist streng hierarchisch organisiert und der Einzelne ist, sofern nicht ganz oben in der Hierarchie positioniert, nur Befehlsempfänger. Eigeninitiative wird gebremst oder sogar sanktioniert. Falck hat mit diesem System Probleme, muss sich aber dennoch nach der Wende zunächst gewaltig umstellen, als er feststellt, dass im Westen ganz anders gearbeitet wird. Dort ist die Zusammenarbeit eher von Kollegialität geprägt und die Ermittler sind auch in jeder Hinsicht besser ausgestattet. Die ehemaligen Volkspolizisten fühlen sich der Kommissarin aus dem Westen gegenüber oft wie Hinterwäldler. Nun werden ungelöste Fälle aus dem ersten Teil des Romans wieder aufgegriffen, dabei kommt es auch zu spektakulären und lebensgefährlichen Situationen, was einen deutlichen Spannungsanstieg zur Folge hat.
Neben der unterschiedlichen Handhabung der Polizeiarbeit schildert der vorliegende Roman auch sehr anschaulich, wie sich angesichts der Lebensverhältnisse in der DDR (heruntergekommene Infrastruktur, eingeschränktes Warenangebot, Durchsetzung sozialistischer Ideale unter drastischer Unterdrückung der freien Meinungsäußerung) gerade bei den jüngeren Menschen eine Wut aufstaut, die schließlich zu Demonstrationen und dem Ende der DDR führen. Die jungen Leute sind die ständige Gängelung und Bespitzelung leid, sie wollen nicht länger in Bruchbuden hausen, jahrelang auf eine Wohnung oder ein Auto warten, sie wollen ihre Berufe selbst wählen und sie wollen reisen – kurzum, sie wollen Freiheit.
Die Charakterisierung der Romanfiguren ist gut gelungen, die Konflikte bei der Zusammenarbeit von Ost- und Westkollegen aufgrund unterschiedlicher Sozialisation wird glaubwürdig präsentiert.

Fazit
Eine sehr fesselnde Zeitreise zurück zum letzten Jahr der DDR und zur Wende, sehr lesenswert!
4,5 Sterne