Lokal- und Zeitkolorit

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pmelittam Avatar

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Artstetten, 1909: Während des Baus der Gruft für die Familie des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand wird eine Babyleiche gefunden, das Kind wurde anscheinend lebend geboren. Auf Grund des Fundortes wird der Geheimagent Pospischil und sein Assistent Frisch nach Artstetten entsandt, um den Fall möglichst diskret aufzuklären.

Was mir direkt von Anfang an gefallen hat, ist das Lokalkolorit, das der Roman sozusagen aus jeder Pore ausströmt. Das fängt schon mit den Dialogen an, die oft dialektgefärbt sind, jedoch nie so stark, dass „Außenstehende“ es nicht verstehen könnten. Und geht weiter über die sehr gelungene Beschreibung der Örtlichkeiten und deren Hintergründe. Mir war der Nibelungengau nicht bekannt, aber der Roman machte mir Lust, ihn einmal zu besuchen, denn ich habe hier einiges darüber erfahren. Schließlich gibt es einige österreichische Wörter, die Deutschen zumindest zum Teil bekannt sind, vor allem, wenn sie schon in Österreich Urlaub gemacht haben, andernfalls kann man auch googeln. In Österreich und Deutschland gibt es eben für die selben Dinge hin und wieder unterschiedliche Worte, das trägt letztlich zur Authentizität bei. Ich hatte keine großen Schwierigkeiten, vieles kennt man, anderes entnimmt man dem Kontext.

Aber auch das Zeitkolorit ist nicht ohne, denn ich fühlte mich schnell nicht nur an den Ort sondern auch in die Zeit versetzt. Nicht nur Franz Ferdinand hofft, bald den Kaiser abzulösen, auch vor allem jüngere Österreicher hätten gern ein bisschen frischen Wind. Leider blieb das Wunschdenken, denn schon fünf Jahre später wird Franz Ferdinand ermordet, wie wir heute wissen. Das Leben der Menschen damals, vor allem auch im Nibelungengau wird mir hier gut nahegebracht, so z. B. das der Landärzte und der Hebammen.

Insgesamt habe ich also nicht nur einen guten Roman gelesen, sondern wurde auch immer wieder zum googeln ermuntert, und habe so auch Neues lernen können.

Die beiden Ermittler sind mir schnell ans Herz gewachsen. Wie ich ermitteln konnte, ist dies bereits der dritte Roman mit den beiden, der zweite beim Picus-Verlag. Ich habe mir direkt die beiden anderen Romane besorgt. Beide Männer sind sehr unterschiedlich, Pospischil schon älter, mit viel Erfahrung, unverheiratet, von einigen Wehwehchen geplagt, Frisch dagegen jung, frisch verheiratet, mit zwei Doktortiteln und deutlich beweglicher als Pospischil. Das führt manchmal auch zu humorvollen Szenen, z. B. wenn die beiden mit Fahrrädern unterwegs sind.

Andere Charaktere gibt es einige, Tatverdächtige, Zeugen, mögliche Mitwisser wie die beiden Hebammen, Mutter und Tochter, Personal des Schlosses, und natürlich der Pfarrer und seine Haushälterin, bei denen Pospischil und Frisch unterkommen. Dass einer davon tatsächlich etwas auf dem Kerbholz hat, erfährt man als Leser:in schon sehr früh, ob und gegebenenfalls wie er allerdings in die Sache um das Kind und einen weiteren Mord passt, erfährt man erst viel später im Roman.

Der Roman ist, auch wenn er als Krimi firmiert, nicht besonders spannend. Muss er aber meiner Meinung nach auch nicht, denn er punktet an anderer Stelle, mit seinen Ermittlern und vor allem mit seinem Lokal- und Zeitkolorit. Ich hatte beim Lesen, trotz der Morde, ein eher gemütliches Gefühl, fühlte mich gut unterhalten und habe, wie schon erwähnt, schnell Lust bekommen, mehr Prospischil und Frisch zu lesen. Am Ende ist alles ordentlich aufgelöst, und die Ermittler erwartet noch ein schönes Erlebnis.

Mit seinen sympathischen Ermittlern, seinem Lokal- und Zeitkolorit und seinem Setting konnte mich der Roman schnell packen. Dass es ihm ein bisschen an Spannung mangelt hat mich dabei nicht gestört.