Ein sehr schwieriges Thema verdaulich zubereitet

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mangobelle Avatar

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Eigentlich sollte ganz vorn auf dem Buchumschlag ein Warnhinweis stehen: „Achtung! In diesem Buch geht es um Krebs“. Die Autorin wird in ihrer Schilderung nichts Auslassen, Kleinreden oder Beschönigen, denn Krebs ist ‘ne Sch***krankheit, die man seinen ärgsten Feind nicht wünschen sollte. Gleichzeitig ist der Roman aber auch eine Hommage an das Leben. Er zeigt auf, dass es auch in der schlimmsten Krise Momente gibt, die das Leben lebenswert machen. Und das es sich lohnt für sich, seine Liebsten und für das Leben zu kämpfen.

****Handlung***
Obwohl ich weder im Internet noch im Buch einen entsprechenden expliziten Hinweis gefunden habe, gehe ich davon aus, dass dieser Roman autobiographisch ist. Gleich zu Beginn wird „Lea Streisand“ mit einer Krebsdiagnose konfrontiert. Sollte es sich um eine fiktive Handlung handeln, würde hier sicher nicht der Name der Autorin stehen.

Lea, die mit Anfang 30 noch nicht einmal im Traum daran gedacht hat, sterben zu müssen, zieht es den Boden unter den Füssen weg. „Krebs“, das heißt für sie ein langes Siechtum, an dessen Ende unweigerlich der Tod steht. So muss sie sich nicht nur einer mehrmonatigen Chemotherapie unterziehen, sondern auch ihren Urängsten stellen.

Eine Hilfe bei dieser Reise ist ihr dabei das lange Leben ihrer Großmutter, genannt Mütterchen. Bei der Wohnungsauflösung hat sich Lea eine Vielzahl an Briefen, Notizen und andere Andenken der alten Dame gesichert. Und hier sind wir in der zweiten Handlungslinie, die das Buch wie ein roter Faden durchzieht. Leas Oma wurde 1912 geboren. Sie hat das Ende des Ersten Weltkriegs, den Mangel durch die Große Inflation, den Aufstieg und Fall der Nazis und schließlich den Aufbau und Untergang der DDR am eigenen Leib erfahren. Zudem war ich späterer Ehemann (und Leas Opa) ein sogenannter Halbjude. Für die Nazis also unrein und im Arbeitslager inhaftiert. In einer sehr gewagten Aktion, hat sie ihn kurz vor Ende des Krieges zur Flucht verhelfen können.
Leas Recherche führt aber auch zu der ein oder anderen Enthüllung, mit der ihre Enkelin nicht gerechnet hat. Die aber ein sehr konkretes Bild von dieser Frau, die trotz einiger Schicksalsschläge mitten im Leben zu stehen schien, zeichnen.

Frau Streisand versteht es sehr gut ihre eigene Geschichte mit der ihrer Großmutter zu verweben und so nicht nur ein Bild von der Langwierigkeit einer Chemotherapie, sondern auch ein Bild von dem Leben ihrer Großmutter zu konstruieren. Gespickt wird das Ganze mit der einen oder anderen Kindheitserinnerung, die sie an ihre Oma hat. Und jetzt kommt die große Überraschung: das Ganze ist trotz dieses bedrückenden Themas absolut lesenswert. Die Autorin benutzt nicht nur eine wundervolle Sprache, die eindeutig von der Berliner Schnauze beeinflusst ist, sondern versteht es auch, den Leser immer mal wieder zum Schmunzeln zu bringen. Was soll man auch sonst machen, wenn man davon liest, dass sie am Wochenende abends in der Klinik anruft um zu fragen, wie das nun eigentlich mit Sex ist….

Ich selbst bin glücklicherweise in der gefühlten Ausnahmesituation noch nie ernsthaft mit dem Thema Krebs konfrontiert worden zu sein. Daher kann ich nur vermuten, dass in diesem Buch offen und deutlich über eine Chemotherapie und deren Folgen geschrieben wird. Immer mal wieder werden Zusammenhänge und Fachwörter näher erklärt. Es sind auch einige philosophische Ansätze zu finden, die sich um den Sinn und Zweck von einigen Dingen drehen. Oder eben – der Geschichte der Großmutter geschuldet – mit dem Holocaust. Frau Streisand versteht es dabei ihre Ausführungen lang genug zu machen um auszudrücken, was sie möchte, aber sie nicht zu lang werden zu lassen, so dass keine Gefahr besteht, dass der Leser ermüdet. Ich wünschte, ich hätte auch dieses Talent ;)

Wie soll ich das Buch nun aber bewerten? Damit tue ich mich nun wirklich schwer. Es ist lesenswert keine Frage. Es ist unterhaltsam geschrieben, das steht fest…

Ich glaube, ich entscheide mich für vier Punkte.