Leas Mütterchen

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brenda_wolf Avatar

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Lea Streisand schreibt in diesem autobiografischen Roman, wie ihr Leben mit Anfang 30 durch eine Krebsdiagnose tief erschüttert wird. Als Ablenkung in dieser schweren Zeit beschäftigt sich Lea mit dem Sichten von Mütterchens Koffer. Leas Großmutter war die Schauspielerin Ellis Heiden. Diesen Künstlernamen legte sie sich Mütterchen bereits in der Schauspielschule zu, geboren wurde sie als Hildegard Lücke, sie wollte jedoch nicht, dass, falls sie mal berühmt wird, irgend so ein Schreiberling in sein Käseblatt kritzelt: ’Eine Lücke hat sich aufgetan auf den Brettern, die die Welt bedeuten.‘

Lea und ihre Großmutter verband ein besonders inniges Verhältnis. Die Autorin schreibt liebevoll von ihrer Großmutter und ihrem wechselvollen und abenteuerlichen Leben. Mütterchen war eine Frau, deren unerschütterliches Vertrauen in den guten Lauf der Dinge sehr erfrischend wirkt. Sie arbeitete als Schauspielerin und Regieassistentin mit Gründgens und Brecht. In den 40er Jahren rettete sie in einer mutigen Aktion ihrem künftigen Ehemann, einen „Halbjuden“, das Leben.

Lea resümiert, Großmutter hatte mit dreißig schon mehr erlebt und mehr Städte bereist als sie. Großmutters Welt war größer und weiter als ihre.

Mütterchen hatte ein freundschaftliches, beinahe intimes Verhältnis zu den Dingen, die sie umgaben. Dafür hatte sie so gar keinen Nerv für Hausarbeit. Hausarbeit konnte sie nicht leiden. Gut, sie musste gemacht werden. Aber Spaß hatte sie dabei nie. Und sie war Sammlerin, sie hortete alle ihre Schätze und konnte sich von nichts trennen, wie es viel Menschen der Kriegsgeneration erging. Ihre Abstellkammer quoll über mit Kram, Sammelsurium und Gerümpel.

Lea stellt fest: Wenn Großmutter etwas richtig gut konnte, dann Probleme lösen. Sie hatte keine Komplexe, machte immer was sie wollte. Leas Leben hingegen wird durch den Krebs ausgebremst, sie hatte sich ein Leben mit Kindern erträumt. Ihr Freund Paul steht ihr zu Seite, fängt sie auf, wenn es ihr schlecht geht und baut sie immer wieder auf, begleitet sie durch Höhen und Tiefen.

Mit hat das Buch sehr gut gefallen. Die Sprache ist ehrlich und ungekünstelt. Es kommt so viel an Herzlichkeit und Liebe beim Leser an, aber auch schmerzhafte Emotionen sind spürbar. Die Charaktere sind echt, man glaubt sie als Leser wirklich zu kennen.

Ich habe sehr schöne Sätze zu lesen bekommen. Hier drei Beispiele:

„Das romantische Ritual meiner Großeltern war das Briefeschreiben. Ihre Liebe entstand, indem sie sie beschworen, in Worte fassten. Begehren kommt aus dem Bauch. Aber Liebe entsteht im Kopf. Indem ich jemandem sage, dass ich ihn liebe, treffe ich die Entscheidung, ihn zu lieben. In genau diesem Moment. Und wenn ich es aufschreibe, habe ich es verbrieft.“

„Zu Hause ist dort, wo man ankommt und nichts darstellen muss. Wo ich mein öffentliches Selbst gegen mein privates Selbst austausche, gegen das ungeschminkte in Jogginghosen, das stundenlang nur auf dem Sofa hängt und Harry-Potter-Filme guckt oder Romantic Comedies und dabei Tetris auf dem Laptop spielt. Das sich in die Wanne legt, bis es ganz verschrumpelt ist, sich dann eine Pizza kommen lässt und Harry Potter wieder von vorn guckt. Zu Hause ist dort, wo man sich als unzivilisiertes Wesen inszenieren darf.“

„Arbeit bedeutet Kontemplation, die Möglichkeit, sich selbst zu verlieren in einer Tätigkeit, all seiner Sorgen, Nöte, Wünsche für eine Weile enthoben zu werden, indem man etwas tut, etwas schafft, etwas Sinnvolles, das unabhängig von der eigenen Person existieren kann.“

Mein Fazit: Unbedingt lesenswert.