Komplexe Geschichte mit starkem Ende

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mondscheinsonate Avatar

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Prinzessin Calla Tuoleimi lebt in San-Er, der dichtbesiedelten Hauptstadt des Königreichs Talin. Es ist laut, verdreckt und ein Menschenleben ist nichts wert. Dennoch strömen die Menschen nach San-Er, droht doch Hungertod und bittere Armut in den umliegenden Provinzen der Hauptstadt. Prinzessin Calla ist hier untergetaucht und lebt unter falschem Namen, da sie ein blutiges Massaker an ihren eigenen Eltern begangen hat, um das Königreich von ihrer tyrannischen Herrschaft zu befreien. Ihr Onkel, König Kasa, ist nun noch der letzte Überlebende der Herrscherfamilie, den Calla zu beseitigen plant.

Kasas Adoptivsohn August spürt sie auf und macht ihr einen überraschenden Vorschlag: Sie arbeiten zusammen, um König Kasa zu ermorden.

Dafür soll Calla an den alljährlichen Spielen San-Ers teilnehmen. Diese versprechen dem Gewinner/der Gewinnerin ein Leben in Reichtum - und dem Rest den Tod. Calla soll mit der Hilfe von August gewinnen und kann dem König so nahe genug gegenüber treten, um ihn zu töten.

Auch Anton Masuka hat sich für die Spiele beworben, um die Krankenhausrechnungen seiner Jugendliebe zu finanzieren, der Halbschwester von August. Calla verbündet sich mit ihm, sehr zum Missfallen von August. Schnell werden ihre sonst so kontrollierten Gefühle gegenüber Anton unberechenbar. Und dann versetzt auch noch eine mysteriöse Mordserie San-Er in Aufruhr ...

Die Inspiration für die Zwillingsstädte San-Er fand Chloe Gong in Kowloon Walled City, einem Ort mit der zur der Zeit höchsten Bevölkerungsdichte der Welt. Sieht man sich die damaligen Bilder an, erkennt man die klaustrophobischen Zustände und widrigen Lebensumstände, die Chloe Gong in ihrem literarischen Pendant San-Er gut eingefangen hat.

Die Liebesgeschichte rund um Calla und Anton wiederum wurde inspiriert von Shakespeares Antonius und Cleopatra. Chloe Gong wollte eine Beziehung schaffen, die von Besessen- und Abhängigkeit geprägt ist und jederzeit durch den drohenden Verrat des anderen scheitern könnte.

Die Verbindung von Calla und Anton ist hierbei wirklich Slow, Slow Burn. Es dauert, bis sie überhaupt aufeinandertreffen und vertrauen können sie sich nicht. Schließlich gibt es während dieser Spiele nur eine/n Gewinner/in und die beiden zeitweise Verbündeten wollen aus unterschiedlichen, aber durchaus altruistischen Gründen, den Sieg für sich.

Die Beziehung der beiden ist deswegen als wechselhaft und turbulent zu bezeichnen - mal wollen sie sich zerfleischen, dann fühlen sie sich wieder innig voneinander angezogen. Die erwähnte Besessenheit habe ich jedoch nicht herauslesen können. Ich habe sogar manchmal etwas Leidenschaft vermisst.

Es dauert ebenfalls, bis die Handlung an Spannung gewinnt, da Chloe Gong die LeserInnen erstmal in den ausführlichen Weltenaufbau ihrer Geschichte einführen muss. Neben dem Setting und Gesellschaftssystem spielt auch das Qi eine große Rolle in der Handlung.
Alle Menschen im Königreich Talin besitzen das Qi, die Essenz ihres Geistes. Mit dem Qi können sie in andere Körper hineinspringen. So gilt in San-Er, dass das Qi das Selbst ausmacht, Körper aber wechselnde Gefäße sind. Nur die Augen verändern sich nicht und verraten, wenn der Körper gewechselt wurde.

Während es im ersten Band von Immortal Longings viel um den Nutzen des Springens während der tödlichen Spiele ging, wird angedeutet, dass dieses Magiesystem in den folgenden Bänden deutlich ausgebaut wird. In der zweiten Hälfte des Buches zieht die Handlung dann auch an und zwei Plottwists im letzten Drittel haben mich total begeistert.

Immortal Longings ist ein Buch mit ausgeklügeltem Weltenaufbau und vielversprechendem Magiesystem. Die Figuren versuchen in einer rücksichtslosen, machthungrigen Welt trotzdem ihrem moralischen Kompass zu folgen und für das große Ganze das Richtige zu tun - auch wenn sie dabei wortwörtlich über (dutzende) Leichen gehen.

Auch wenn es gedauert hat, dass die Geschichte mich für sich einnehmen konnte, hat das Ende mich letztendlich komplett von sich überzeugen können. Ich bin gespannt, welchen weiteren Verlauf die Handlung in der Fortsetzung nehmen wird.