Wahlfamilie in Hamburg ab 1946

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Mit "In den Scherben das Licht" hat sich Carmen Korn wieder einmal mehr der deutschen Geschichte gewidmet, diesmal der unmittelbaren Nachkriegszeit bis in Jahr 1955. Das Hörbuch liest die Autorin selbst. Ihre Jahrhunderttrilogie hatte mich begeistert, daher war ich sehr gespannt auf das Hörbuch.

In einem Haus, von dem nur noch der untere Teil steht, treffen viele unterschiedliche Charaktere aufeinander. Da ist die Hausbesitzerin Friede, die Seele des Hauses, ehemalige Schauspielerin, gutmütig und immer für alle da. Im Keller leben Gert und Gisela, zwei Jugendliche. Beide haben im Krieg ihre Familien verloren und finden bei Friede eine Wahlfamilie. Im Verlauf des Romans lernen wir die Sorgen und Nöte der vielen Protagonist*innen kennen, erleben die Kälte des Nachkriegswinters in Hamburg, den Schwarzhandel, aber auch den positiven Blick Friedes und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Bis auf ganz wenige Ausnahmen sind die Charaktere sympathisch geschildert. Friedes Reaktionen konnte ich aus der heutigen Sicht nicht immer ganz nachvollziehen, aber Zusammenhalt war in dieser Zeit nicht nur wichtig, sondern eben auch überlebenswichtig. Der Roman ist kapitelweise chronologisch geordnet und auch datiert. Bei den einzelnen Kapiteln hatte ich allerdings zum Teil Schwierigkeiten. Es brauchte immer ein paar Sätze, um nachvollziehen zu können, wer gerade erzählt. Im Buch gibt es wohl auch einen Stadtplan, der sich natürlich im Hörbuch nicht unterbringen lässt. Mir hat er auch nicht gefehlt. Ich kenne Hamburg recht gut und konnte die Protagonist*innen auch so auf ihren Wegen begleiten. Etwas zu sehr in den Hintergrund gerückt war mir die politische Lage im Nachkriegsdeutschland. Hat das die Menschen damals nicht interessiert? Oder waren sie zu sehr mit Überleben beschäftigt? Hier hätte ein Nachwort Klarheit bringen können. Dagegen hat Korn das Bangen der Menschen um das Schicksal ihrer Angehörigen gut herausgearbeitet, Gert sucht verzweifelt nach seiner Schwester, während Gisela am liebsten nichts von allem mehr wissen will und auch keine Nachforschungen betreibt. Auch Friede will nichts mehr von ihrer Liebe zu zwei so unterschiedlichen Männern wissen.

Carmen Korn lässt in ihren Roman auch Teile ihrer Biografie als Redakteurin bei Stern und Die Zeit unauffällig mit einfließen. Journalismus in der damaligen Zeit war noch anders als heute! Carmen Korn liest gut, ich bin (bis auf eine Ausnahme) sowieso Fan von Autorenlesungen.

Ich habe den Roman gerne gehört, wenn er für mich auch etwas schwächer war als die Jahrhunderttrilogie. Trotzdem eine Leseempfehlung für Liebhaber historischer Romane aus der Nachkriegszeit und 4 Sterne!