Gesellschaftsporträt

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Dieses Buch vereint viele Themen: ein bisschen True Crime, ein wenig Coming-of-Age, eine Studie des ländlichen Lebens im piemontesischen Norditalien in den 1970er Jahren, die Rechte und der gesellschaftliche Stand der Frauen zu dieser Zeit und natürlich die Gefühle der einzelnen Figuren.

Ich hätte das Buch lieber im Original gelesen, da dann wahrscheinlich die Melodie der Sätze und die sprachlichen Bilder noch deutlicher hervorgetreten wären. Nichtsdestotrotz konnte der Roman auch in der Übersetzung atmosphärisch wirken. Die Angst und Beklemmung, die der Tod des Mädchens und das Verschwinden der Lehrerin auslösen, ist gut spürbar.

Silvia bleibt bis zum Ende rätselhaft, aber das war sie wohl zeitlebens für ihre Mitmenschen. Martino ist ein sympathisch gezeichneter Junge, der es nicht leicht hat in seiner neuen Umgebung. Die Annäherung an seine Klassenkameradin Giulia ist einfühlsam und authentisch geschildert.

Die schönste und zugleich heiterste Szene ist ungefähr in der Mitte des Romans, als die lustige Nonne Annangela die Dorfkinder auf eine sehr rasante Fahrt in ihrem himmelblauen Cinquecento einlädt. Ansonsten ist die Stimmung in dem Roman eher beklemmend, was nicht nur den aktuellen Ereignissen geschuldet ist, sondern auch der düsteren Vergangenheit (Krieg, Waisenhaus, Kindstod), die in dem Roman thematisiert wird.

Ein interessantes Gesellschaftsporträt, das kein verklärtes Italienbild vermittelt, sondern im Stil des Neorealismus die damaligen Lebensbedingungen ohne Beschönigung abbildet.