Beziehungen in der Krise

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
theresia626 Avatar

Von

In Véronique Olmis neuem Roman ”In diesem Sommer” treffen sich drei Paare im Haus der Gastgeber Delphine und Denis in Coutainville in der Normandie, um dort den 14. Juli, den französischen Nationalfeiertag, zu verbringen. Außerdem werden Alex und Jeanne, die Kinder von Delphine und Denis mit zwei Freunden dort sein, alles in allem also zehn Personen. Nicolas und Marie kommen schon seit 16 Jahren zu diesem Termin und freuen sich darauf. Es gibt feste Rituale, und die beginnen schon mit dem Kaffeetrinken während der Anreise, kurz vor der Ankunft.

Der Leser wird jedoch schon mit dem ersten Abschnitt des Romans darauf eingestimmt, dass es kein unproblematisches, fröhliches Beisammensein geben wird, und die Leseprobe enthält zahlreiche Hinweise darauf, dass es in der Ehe der Gastgeber kriselt. Delphine und Denis schaffen es kaum noch zusammenzuleben und schweigen entweder verbittert oder greifen einander mit scharfen Worten und harten Blicken an. Über die anderen Paare erfährt der Leser noch nicht viel. Jedoch liegt die Vermutung nahe, dass es überall Risse unter der Oberfläche  und schwelende Konflikte gibt, die irgendwann ausbrechen.

In dieser Studie über menschliche Beziehungen spielt das Meer eine wichtige Rolle. Es symbolisiert einerseits das, was bleibt angesichts aller menschlichen Tragödien, auf der anderen Seite aber auch Veränderung mit dem Kommen und Gehen der Gezeiten, der sich ständig verändernden Küstenlinie. Das Verstreichen der Zeit wird schon auf diesen ersten Seiten thematisiert. Die Autorin beschreibt die Abfolge der Generationen, die an diesem Strand Urlaub machen, als Kinder, als Erwachsene, dann selber alt wie anfangs die Großeltern, die im Schatten unter dem Schirm sitzen.  

Die Leseprobe liest sich gut. Das liegt zum einen an dem knappen, präzisen Stil der Autorin, zum anderen an der aus einer Vielzahl von Romanen und Filmen vertrauten sehr französischen Konstellation: Treffen von Freunden oder Familienmitgliedern anlässlich eines Fests oder eines Urlaubs. Da wird gut gegessen und getrunken, gelacht und gestritten und sich dann wieder versöhnt oder auch nicht. Es gibt  dafür typische, ritualisierte Verläufe. Mit dem letzten Satz der Leseprobe wird jedoch deutlich, dass das diesjährige Treffen nicht gelingt: “In diesem Jahr aber würde nichts so ablaufen wie erwartet.” (S. 27). Das ist entweder die Vorausdeutung eines auktorialen Erzählers oder eine Vorahnung aus der Sicht von Gastgeberin Delphine. Ohnehin weiß der Leser, der die anderen Romane von  Véronique Olmi kennt, dass bei dieser Autorin Familie häufig eine schädliche Einrichtung ist (Meeresrand, Nummer sechs) und Liebe keine ungetrübte, beglückende Erfahrung (Ihre Leidenschaft, Ein Mann, eine Frau, Die erste Liebe). Mir gefällt der Romananfang sehr gut, und ich bin sehr gespannt auf die Fortsetzung.