Zeit der Veränderung

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theresia626 Avatar

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In Véronique Olmis Roman „In diesem Sommer” treffen sich drei Paare im Haus der Gastgeber Delphine und Denis in Coutainville in der Normandie, um dort den 14. Juli, den französischen Nationalfeiertag, zu verbringen. Außerdem sind Alex und Jeanne, die Kinder von Delphine und Denis mit zwei Freunden da, alles in allem also zehn Personen. Es gibt feste Rituale, und die beginnen schon mit dem Kaffeetrinken während der Anreise, kurz vor der Ankunft. Nicolas und Marie kommen schon seit 16 Jahren zu diesem Termin und freuen sich darauf. Sie sind ein älteres Ehepaar; Nicolas und Denis sind Jugendfreunde. Nicolas hatte vor drei Jahren eine schwere Depression und leidet heute noch unter Panikattacken. Seiner Frau Marie, einer arbeitsuchenden Schauspielerin, werden nur noch Großmutterrollen angeboten, obwohl sie erst 52 ist. Delphine braucht viele Menschen zwischen sich und ihrem Ehemann, damit sie der Rummel voneinander ablenkt.

Lola, die zehn Jahre als Kriegsreporterin im Nahen Osten gewesen war und jetzt eine Radiosendung über die Stille produziert, kommt jedes Jahr mit einem neuen Liebhaber nach Coutainville. Diesmal bringt sie den 26 Jahre alten Samuel mit, der sich die Aufnahme in die gemütliche Runde wünscht, den Sommer an Lolas Seite wahrscheinlich nicht überleben wird. In der Ehe der Gastgeber kriselt es. Auf der vierstündigen Hinfahrt sind sie nicht in der Lage gewesen miteinander zu reden, sie schweigen sich nur noch an. Dabei würde Delphine Denis gern etwas sagen, doch sie traut sich einfach nicht. Früher teilten sie sich ihr Zimmer oben unter dem Dach, das Zimmer der langen Siesta, jetzt konnten sie sich ein Zimmer teilen und waren doch allein darin. „Damals liebten sie sich alle beide, wie man ein Ideal liebt, mit geradezu mystischer Schwärmerei, ihre Liebe war so stark, dass ihr Gleichgewicht dadurch bedroht wurde.“ (S. 33) Trotz dieser Liebe sind sie gescheitert, auch, weil sie nicht miteinander reden konnten. Diese früher so vertrauten Rituale sind zur Verpflichtung und später zur Last geworden.

Die Kiefern in der Normandie sind krank, so auch die große Kiefer im Garten der Gastgeber. Das ist ein schlechtes Omen für die Gesellschaft, die darunter immer fürstlich gegessen, gefeiert und getrunken hat, denn die Gastgeber haben es zu Ruhm und Reichtum gebracht. Doch so wie die Krankheit zuerst die untersten Äste des Baumes erreicht und zuletzt den Wipfel erfaßt, so kranken auch die Beziehungen der Gastgeber und deren Gäste. Um die Kiefer im Garten will sich Delphine kümmern, sie wird wieder gesund. Das zumindest ist ihre große Hoffnung.

Bei Véronique Olmis Romanen spielt das Meer immer wieder eine wichtige Rolle. „Das Meer ist der einzige Ort, wo man vor Freude schreien kann, ohne daß jemand verlangt, man solle leise sein.“ (S. 36) Sie entwickelt Personen, die ihre Familie früher oder später verlassen wollen oder werden. So wie Lola, die unfähig ist, eine längere Beziehung einzugehen. Von ihrem Verlust, den sie als junges Mädchen erlitten hat, redet sie nicht einmal mit ihren langjährigen Freunden, vertraut sich aber dem ihr völlig fremden jungen Mann Dimitri an, der plötzlich wie aus dem Nichts in der gemütlichen Runde auftaucht. Daß sie ihren jugendlichen Liebhaber Samuel, in den sie anfangs wahnsinnig verliebt war, damit sehr verletzt, darauf nimmt sie keine Rücksicht.

Daß in diesem Jahr nichts so ablaufen wird wie erwartet, das ahnte Delphine nicht nur, sie wußte es schon vor Beginn ihrer Reise. Nach diesem Sommer wird sich für alle etwas ändern und es wird nie wieder so sein wie früher. Das Cover des Romans mit den Lavendelzweigen auf der Fensterbank und den über dem Meer aufziehenden, dunklen Wolken gefällt mir ausgesprochen gut und paßt hervorragend. Der Klappentext führt den Leser auf eine falsche Spur, denn es wird unter den Erwachsenen keine ganz neuen Paarungen geben. Außerdem erzählt der Klappentext mit wenigen Worten fast den gesamten Inhalt des Romans, was mich jedoch nicht davon abgehalten hat, ihn mit Freude zu lesen. Empfehlenswerte Sommerlektüre.