Ein kantiger Held und jahrhundertealte Rätsel

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Was beim Marketing von Danielle Trussonis Thriller „Ingenium“ vermutlich viele Leserherzen höherschlagen lässt, hätte mich um ein Haar davon abgehalten, das Buch lesen zu wollen – es eigne für Fans von Dan Brown. Denn dessen Bestseller hatte ich nach wenigen Seiten in die Ecke gepfeffert. Doch erworbenes Savant-Syndrom und Lösung komplexester Rätsel klang spannend, sodass „Ingenium“ eine Chance bekam.

Die Geschichte handelt von Mike Brink, der als Quarterback seiner High-School-Football-Mannschaft bei einem Spiel ausgeknockt wird. Als er wieder wach wurde, hatte er ein Savant-Syndrom erworben und war in der Lage, mühelos komplexeste Rätsel aller Art zu lösen. Inzwischen ist er 32 Jahre alt und soll Gemälde einer Gefängnisinsassin, die mit ihrer Umwelt (genauer gesagt der Gefängnispsychologin) nur noch über Bilder kommuniziert, enträtseln. Mike macht sich an die Rätsel und stellt schnell fest, dass die verurteilte Mörderin ihr Wissen so rätselhaft verpackt, um es loszuwerden, sich aber keiner unmittelbaren Gefahr auszusetzen. Doch je näher Mike der Auflösung kommt, desto gefährlicher wird es für alle Beteiligten …

Zunächst sollte man wohl erwähnen, dass das erworbene Savant-Syndrom ein zwar sehr selten belegtes, aber reales Phänomen ist. Schon in diesem Punkt unterscheidet sich Trussonis Geschichte von der Browns, wo ein Gelehrter am Werk ist. Außerdem ist Mike ein „kantiger Held“, der zwar hochbegabt ist, aber weil mit seiner Begabung der Verlust sozialer Kompetenzen einherging, nicht gerade Everybody’s Darling. Man sollte sich für diese Art von Figur und vor allem Mathematik und Rätsel nicht nur interessieren, sondern sogar begeistern, denn Trussoni geht detailliert auf die Rätsel ein. Die sind nicht nur vertrackt, sondern oftmals auch ziemlich religiös angehaucht, was mir streckenweise etwas zu ausgedehnt war – ebenso wie die recht genaue Schilderung von Nebenfiguren, unter denen nur der Spannungsbogen litt. Insgesamt bringt „Ingenium“ eigentlich alles für einen spannenden Thriller mit: ein jahrhundertealtes Rätsel, dessen Auflösung der Menschheit besser verborgen bliebe, mystische Rituale, verschiedene Zeitebenen und Handlungsorte, einen hochbegabten Helden und eine „passende Gegenspielerin“ (naja, Mitspielerin träfe es fast besser) und das alles sprachlich flüssig lesbar umgesetzt. Trotz mancher Schwäche (weniger Details wären an der einen oder anderen Stelle sinnvoll gewesen) habe ich „Ingenium“ nicht in die Ecke gepfeffert. Allerdings sollte man wohl besser mathematisch interessiert und nicht auf Identifikationsmöglichkeiten mit den Protagonisten aus sein, um der Lektüre etwas abgewinnen zu können.