Teambuilding mit unerwartetem Ende

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aennie Avatar

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5 Frauen und 5 Männer der Firma BaileyTennants brechen auf zu einem dreitägigen „Betriebsausflug“. Die Tage in der australischen Wildnis, außerhalb von Melbourne im Giralang-Massiv, sollen sich positiv auf ihr gesamtes Miteinander, ihre Identifikation mit ihren Vorgesetzten und ihrem Arbeitgeber auswirken. Teil der jeweiligen Teams sind die beiden Geschwister Jill und Daniel Bailey, die Geschäftsführer der Firma. Als die Herrengruppe am Sonntagmittag überpünktlich am Treffpunkt erscheint, können sie es kaum abwarten, zurück in die Zivilisation zu kehren. Aus der anfangs fast belachten, weil erwarteten Verspätung der Damen, wird schnell steigende Verärgerung über die Verzögerung und schließlich Sorge, als deutlich gezeichnete Gestalten irgendwann doch noch den Weg zurück zum vereinbarten Ziel finden, aber sie sind nur noch zu viert. Die fünfte von ihnen hat sich von der Gruppe abgesetzt, um ihren eigenen Weg zu gehen, nachdem fast von Beginn an alles so gar nicht rund ging in der zusammengestellten Wandergruppe. Und sie hat nicht wie vermutet den Weg schneller gefunden, sie bleibt verschwunden. Das Thema erhält für die eigentlich fachlich unbeteiligten Ermittler der Federal Police plötzlich ebenfalls Brisanz. Alice versuchte offensichtlich Steuerfahnder Aaron Falk am frühen Morgen ihres Verschwindens zu erreichen, es war der letzte Anruf, der von ihrem Handy abging. Sie war seine Informantin, gegen ihre beiden Chefs Jill und Daniel Bailey und sollte Beweise für illegale Transaktionen ihrer Arbeitgeber liefern. Ist Alice einem schlichten Wanderunfall zum Opfer gefallen oder hat jemand von ihrer Zusammenarbeit mit den Behörden erfahren und „nachgeholfen“? Hat eine Mordserie vor Jahrzehnten in eben diesem Gebiet damit zu tun, gibt es einen Nachahmer oder Nachfahren? Oder sind einfach nur die Sicherungen in der ungleichen Gruppe durchgebrannt, in der offensichtlich niemand den anderen leiden konnte und insbesondere Alice sicher keine Sympathieträgerin war?

Um diesen interessanten und undurchsichtigen Ausgangspunkt herum spinnt Jane Harper ihren Thriller „Ins Dunkel“ und es gelingt ihr außerordentlich gut, ihre Leser in eben jenes Dunkel zu führen und sehr lange darin herumtappen zu lasen. Hier war für mich lange Zeit nicht klar, in welche Richtung sich das Ganze entwickelt. Vom Zufallsverbrechen bis hin zur völlig geplanten Absetzung Alice aus ihrem bisherigen Leben war alles für mich lange Zeit drin.
Mir hat der zeitliche Wechsel zwischen den beiden Erzählsträngen sehr gut gefallen, abwechselnd werden Kapitel aus Sicht von Aaron Falk rund um die Ermittlungen mit den Ereignissen seit dem Aufbruch der Gruppe aus Melbourne bis zur Rückkehr der nunmehr vierköpfigen Gruppe zum Ausgangspunkt aus der Perspektive der verschiedenen Frauen eingesetzt. Insbesondere diese Rückblicke und ihre zwischenmenschliche Dynamik sorgen für große Spannung. Jane Harper hat es aber auch wirklich geschafft einen Haufen zusammenzustellen, der an Brisanz nicht zu übertreffen ist. Neben der Geschäftsführerin Jill, und der verschwundenen Alice, die eine absolut dominante Persönlichkeit ist, gehören noch die ungleichen Zwillingsschwestern Bethany und Breanna dazu. Bree hat nicht nur eine, sondern zwei direkte Vorgesetze dabei, denn sie ist Alice Assistentin. Beth hingegen arbeitet im Datenarchiv der Firma, sehr zum Missfallen ihrer Schwester, die ohnehin ein gewaltiges Problem mit Beth Vergangenheit hat. Alte Lasten schleppt auch Lauren mit auf den Trail, sie kennt Alice bereits aus der gemeinsamen Schulzeit und weiß genau, mit welchem Menschen sie es zu tun hat. Dazu kommen die üblichen privaten Baustellen genereller und überaus aktueller Natur und es entsteht von Anfang an eine Gruppendynamik, die eigentlich ein Fall für die Begleitung durch einen krisenerprobten Seelsorger oder einen erfahrenen Psychologen oder eine Koryphäe vom Kampfmittelräumdienst verlangt, der die Atmosphäre vor dem Explodieren bewahrt. Nicht zuletzt hätte natürlich auch ein Navigator gut Dienste getan.
Der Ausgang des Thrillers ist dramatisch und für mich unerwartet, so viel kann man wohl sagen, ohne zu viel zu erwarten.
Es ist der zweite Fall mit Aaron Falk in einer – ich nenne es mal begleitenden Hauptrolle. Sowohl in diesem Thriller als auch wie der Klappentext zum ersten Teil „Hitze“ verrät, gerät er offensichtlich eher zufällig in die Aufklärung von Gewaltverbrechen, hat aber dann Anteil an der Arbeit der ermittelnden Behörden. Grundsätzlich hat er mir aber als „Protagonist“ gut gefallen, auch wenn man nur sehr nebenbei etwas über ihn erfährt. Der Fall steht klar im Mittelpunkt und das ist ein ganz großes Plus von „Ins Dunkel“. Ein weiteres ist der Schauplatz – Australien bietet einmal ein (für mich) neues und spannendes Umfeld, zumal ich finde das die Schilderungen des Nationalparks rund um das Giralang-Massivsehr gut gelungen sind.

Klare Leseempfehlung!