Ganz großes Tennis

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baffany Avatar

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Beim Lesen der ersten Seiten von „Inside“ dem Buch von Boris Becker war ich beeindruckt vom Schreibstil. Während der Lektüre wurde mir klar, dass nicht Boris Becker über sich schrieb, sondern zwei Sportreporter (s)eine Version der Boris Becker Story zu Papier gebracht haben. Das Autorenteam bedient sich dabei stilistischer Mittel, um den Leser emotional einzubinden: „Du drückst auf den Notfallknopf an der Wand. (…) Ich werde später noch (…). Wenn du zum ersten Mal eingelocht bist…“. Im weiteren Verlauf wird der Leser auch schon mal direkt angesprochen und dabei gesiezt. Beide (Tom Fordyce und Boris Becker) sind Profis. Jedes Mittel ist recht, um den Leser ins (Spiel-)Geschehen einzubeziehen. Durch das Spiel mit den Stilmitteln wirkt dieser Teil der Story lebendig und nahbar auf mich. Herr Becker hat seit seinen ersten Interviews sehr viel über Kommunikation und seine Wirkung gelernt. Er ist mit seiner Leidenschaft und Energie nicht nur für das Tennis-Spiel zum eloquenten Kommentator gereift. Respekt für die sportlich-literarische Leistung des ersten Drittels.

Dass das Buch aus dem englischen von einer weiteren Person in die Muttersprache von Boris Becker übersetzt wurde, empfinde ich aus verschiedenen Gründen bemerkenswert. Da ist die Bedeutsamkeit der Mutter für die Aktivierung seines Kampfgeistes. „Wir sind hier beim Tennis und nicht auf einem Date. Denkt dran, eine unsere Mütter wird heute Abend weinen“ (S.134). Zudem widmet er das Buch seiner Mutter, zum Anderen durch den Verlauf der Ereignisse, „ich bin und bleibe Boris Becker aus Leimen“ (S.72).

Die Einblicke in das Gefängnisleben, Einblicke in seine Mentaltechniken, seine Gedanken u.a. zu seiner Spieltechnik und die Suche nach Überlebensstrategien hatte ich in der Form und Tiefe nicht erwartet. Ebenso wenig seine unverblümte Kritik an dem System und der Situation des englischen Strafvollzugs. Eine Tiefe hatte ich, durch die Buchankündigung, in anderer Form erwartet.

Ich gewann darüber hinaus den Eindruck, dass es zwar um eine authentische Innenschau als auch um wirksame Show und Publicity geht. Für mich wird der Ex-Profi-Tennis-Spieler jedoch nicht durchschaubarer.

Das Buch wirkt für mich wie eine Inszenierung und Dokumentation über ein großes Ereignis. Mit Rückschau inkl. Zeitdokumenten, zusätzlichen Infos (z.b. über das Verhältnis zu vergangenen Tennisspielen) in Form von Zellenträumen. Eine gelungene und lebendige Reportage. Fast schon filmreif.

Für eingefleischte Boris Becker Fans sicherlich ein interessantes Buch. Für jene die ihn gar nicht kennen, könnte es ein unterhaltsamer, wenn auch streckenweise langatmiger Roman und für Sportbegeisterte eine Zeitreise mit einen ehemaligen Profi-Sportler sein, der mediale Aufmerksamkeit nicht nur durch seine sportlichen Leistungen erlangte und diese lange nach Ende der sportlichen Karriere für sich erhalten konnte.