Weder Fisch noch Fleisch

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zopfmadame Avatar

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... Könnte auch einer der Kapitelüberschriften aus Antonia Wesselings neuem Roman "Insight - Dein Leben gehört mir" sein; doch dazu später mehr.

Im März/April 2024 postete Antonia Wesseling mehrere Kurzvideos auf ihren Social Media Accounts, in welchen sie ihr neues Buch "Insight" beworben hat. In diesen Videos hat sie ihr Buch all jenen empfohlen, die Verity von Colleen Hoover mochten. Nachdem ich Verity wirklich spannend und unterhaltsam fand, habe ich mir Insight am Erscheinungstag gekauft und um es kurz zu machen: Den Mix aus Romance und Thriller, welcher mir in Verity so gefallen hatte, habe ich in Insight leider vergeblich gesucht.

Doch worum geht es überhaupt? Influencerin Valerie Sophie ist seit der Trennung von ihrem Ex in einem Karrieretief - was ziemlich bitter ist, denn Valerie hat für diese glamouröse Karriere einiges in Kauf genommen. An vorderster Stelle: Der Kontaktabbruch zu ihrer ganz und gar nicht glamourösen Herkunftsfamilie. Als sie immer wieder Nachrichten von einem Stalker bekommt, welcher droht "ihr kleines Geheimnis" an die Öffentlichkeit zu bringen, gerät ihre Welt vollends aus den Fugen. Nachdem die Polizei ihr wenig Gehör schenkt, wendet sie sich an ihren ehemaligen Mitschüler und Mittlerweile-Polizist Paul. Dieser verspricht ihr zu helfen und naja, sagen wir so: "Ich berühre Sie dienstlich" bekommt bei den beiden eine ganz neue Bedeutung.
Hier wäre vielleicht noch wichtig zu erwähnen, dass das Thema "Influencer sein" in diesem Roman wirklich SEHR präsent ist; das sollte man also mögen - oder eben auch nicht.

Der Schreibstil war in Ordnung und so flüssig zu lesen, dass ich an einem Wochenende mit dem Buch durch war. Allerdings verwendet die Autorin einige Floskeln so häufig, dass es schon fast lächerlich wirkt. ("Sie schüttelte den Kopf, obwohl er das durchs Telefon natürlich nicht sehen konnte").
Was mir jedoch ein absolutes Rätsel geblieben ist, war die Auswahl der Kapitelüberschriften. Jedes neue Kapitel wurde von einem Sprichwort wie "Steter Tropfen höhlt den Stein" oder "Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist" eingeleitet, in den meisten Fällen konnte ich allerdings keinen Zusammenhang zwischen dem Sprichwort und dem Kapitelinhalt erkennen.

Kommen wir nun zu meinen beiden größten Kritikpunkten: die Charaktere und der Plot.
Nicht nur die Nebencharaktere wie "Das Managerarschloch" oder "Die oberflächliche Influencer-Freundin" bedienen sich jeglicher Klischees, auch die beiden Protagonisten Valerie und Paul bleiben während dem gesamten Roman eindimensional und uninteressant. Valerie fand ich zumal auch noch enorm unsympathisch, doch darüber hätte ich hinwegsehen können, wenn sie in ihrem Verhalten wenigstens nicht unlogisch-unsympathisch, sondern faszinierend-unsympathisch gewesen wäre. Die "Liebesbeziehung" zwischen Paul und Valerie konnte ich leider ebenfalls nicht nachvollziehen. Es gab keinerlei Chemie zwischen den beiden, keine charmanten Momente, keine tiefgründigen Gespräche oder Ähnliches. Ich hatte das Gefühl, dass die zwei lediglich miteinander schlafen, weil sie sich (rein körperlich) heiß fanden - von Gefühle oder gar Liebe fehlte mir jede Spur.
Mit dem Wissen, dass sich die beiden nicht wirklich gut kennen, fand ich persönlich die Spicy Szenen auch etwas befremdlich. Der Dirty Talk wirkte wie in einem schlechten Porno, Zitat: "Ich will hören, wie deine prallen Lippen meinen Namen stöhnen, während du so heftig kommst, dass du an nichts anderes denken kannst." ist eine Aussage, bei der ich beim ersten/zweiten Mal Sex mit einer Person schreiend davonlaufen würde - aber das ist ja bekanntlich Geschmackssache. Für alle, denen es da geht wie mir: Das muss kein Grund sein, um Insight nicht zu lesen. Das betrifft nur wenige Szenen und diese kann man gut überspringen, ohne dass man etwas Wichtiges für die Handlung verpasst.

Apropos Handlung: Auch die konnte mich leider nicht überzeugen. Vielleicht liegt es daran, dass ich sehr gerne Thriller lese und dadurch "mehr" gewohnt bin, aber die Stalking-Situation hat in mir kein Unbehagen ausgelöst und ich hatte zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass Valerie sich in ernsthafter Gefahr befindet. Auch den Sub-Plot um die Duschschaumkampagne fand ich einfach nur langweilig. Gegen Ende hin hat die Autorin dann noch schnell ein paar Themen/Plot-Points wild durch die Gegend geworfen - und meistens wenige Seiten/Sätze später bereits wieder verworfen. Die Stalking-Situation wurde zwar aufgeklärt, aber andere Probleme, welche zu Beginn des Buches groß aufgepusht worden waren, sind zum Ende hin gar nicht mehr vorgekommen oder wurden äußerst unspektakulär in einem Nebensatz "aufgelöst".
Nachdem das Ende in vielen Rezensionen als "so krass" betitelt wurde, war es für mich Großteils schon vorhersehbar und ein so offensichtlich gewollter Schockmoment, dass es für mich keine Überraschung mehr bringen konnte.
Auf den letzten Kapiteln ist allerdings etwas passiert, was tatsächlich wirklich spannend hätte sein können; wenn es nicht ebenfalls mit einem Wisch unter den Teppich gekehrt worden wäre.
Hätte Insight mit den Geschehnissen der letzten 50-100 Seiten begonnen, dann hätte die Geschichte wirklich viel Potenzial gehabt, um ein spannender Mix aus Thriller und Romance zu werden und viele Möglichkeiten zur Charakterentwicklung von Valerie und Paul geboten. So ist es leider weder Thriller, noch Romance, noch ein Mix aus beiden sondern lediglich ein Roman über 2 Personen, die sich körperlich anziehend finden, sonst aber nichts gemeinsam haben außer eine berufliche "Herausforderung".

Eine abschließende Empfehlung für potenzielle Leser*innen abzugeben, fällt mir bei diesem Buch wirklich schwer. Für Thrillerfans wird Insight ziemlich wahrscheinlich zu unaufregend und oberflächlich sein und Romancefans werden auf Grund der fehlenden Gefühle/Chemie zwischen den Protagonisten eventuell ebenso wenig auf ihre Kosten kommen. Am ehesten könnte ich mir vorstellen, dass das Buch bei jungen Leser*innen, welche gerade erst ins Thriller-Genre einsteigen möchten, gut ankommen könnte - wären da nicht die oben erwähnten äußerst graphischen Sexszenen.