Familie ist kompliziert

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buecherfan.wit Avatar

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In Sally Rooneys neuem Roman “Intermezzo“ geht es um die Brüder Peter und Yvan, deren Vater kurz zuvor an Krebs gestorben ist. Sie trauern, aber auf sehr unterschiedliche Weise. Zu Beginn der Geschichte ist Peter Anfang 30, Yvan knapp 23. Als Yvan ein Junge war, hatten sie ein sehr gutes Verhältnis. Inzwischen haben sie sich auseinandergelebt. Der Jüngere hasst den Älteren, denn dieser spielt mit großer Arroganz seine Überlegenheit aus. Er ist Menschenrechtsanwalt, während Ivan seinen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsjobs wie Datenanalyse verdient. Schon als Junge war er ein sehr guter Schachspieler, aber in den letzten beiden Jahren ist sein Ranking immer schlechter geworden. Peter wirkt nur nach außen sehr erfolgreich, befindet sich aber tatsächlich in einer tiefen Krise, die er nur mit Medikamenten, sehr viel Alkohol und Drogen übersteht. Er sieht keinen Sinn mehr in seinem Leben, denkt immer häufiger an Selbstmord. Vor Jahren hat sich Sylvia, die Liebe seines Lebens von ihm getrennt, als sie durch einen Unfall schwer verletzt wurde und seitdem unter unerträglichen Schmerzen leidet. Sie wollte nicht bemitleidet werden und Peter eine normale Beziehung mit einer neuen Partnerin ermöglichen. Peter hat sich in die 23jährige Studentin Naomi verliebt, kann aber Sylvia nicht aufgeben. Er will mit beiden in enger Verbindung bleiben. Bei einem Simultanschachturnier lernt Ivan Margaret, die Leiterin des Kulturamts kennen. Die beiden beginnen eine Beziehung mit einander, die sie nur kurze Zeit geheim halten können. Margaret hat sich kürzlich von ihrem Mann getrennt und ist mit 36 deutlich älter als ihr Partner. Sie fürchtet, nun Zielscheibe von Klatsch und Verachtung zu werden.
Rooney erzählt die Geschichte aus Peters, Ivans und Margarets Perspektive. Es geht um Liebe und Trennung, Verlust und Trauer und vor allem um die Komplexität von familiären Beziehungen. Da ist nicht nur die Entfremdung zwischen den Brüdern, alle haben auch ein sehr schwieriges Verhältnis zu ihren Müttern. Neben dem Thema Familie geht es auch um andere Dinge z.B., dass die Beziehung eines Mannes zu einer deutlich jüngeren Frau problemlos akzeptiert wird, während im umgekehrten Fall der Ruf der Frau ruiniert ist. Der umfangreiche Roman liest sich nicht leicht, vor allem wegen des besonderen Stils der Autorin. Sie kennzeichnet nicht nur wörtliche Rede nicht durch die Interpunktion, sondern reiht auch seitenlang ohne Absätze Gedanken und Empfindungen in einer Art Bewusstseinsstrom aneinander, was manchmal künstlich und überstrapaziert wirkt. Das betrifft vor allem die Kapitel, in denen es um Peter geht. Wenn man sich daran gewöhnt hat, ist der Roman trotzdem lesenswert.