Schuld und Sühne zur Heuwendezeit

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theresia626 Avatar

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„Es ist Sommer, heißer, herrlicher Sommer“ und es ist die Zeit der großen Veränderungen in Deutschland - das Wendejahr 1990 - doch in einem kleinen Dorf in Thüringen herrscht noch Stillstand vorm großen Umbruch. Nicht viel bewegt sich hier, nicht viel verändert sich. Maria, deren Kindheit durch die Abwesenheit ihres  Vaters geprägt ist, verliert sich in Büchern und genießt es, mehr in der Sonne zu liegen als in die Schule zu gehen. Anfang Mai hatte Johannes, ihr Freund, sie seinen Eltern vorgestellt, danach ist sie gleich geblieben und zu ihm in die „Spinnenzimmer“ auf den Dachboden des Brendel-Hofes gezogen. „….und denke an die Mutter; …. Es ist ihre Traurigkeit, die mich aus dem Haus getrieben hat. Die saugt mir die Kraft aus dem Körper und die Freude aus dem Herzen.“ (S. 46)

Auf dem Hof leben Siegfried, Marianne (die Eltern), Lukas (Bruder von Johannes), die Großmutter Frieda und das „Anhängsel“ Alfred. Frieda hat außer Siegfried noch zwei Söhne, den Volker und den Hartmut. Hartmut lebt, nach dem er die Ausreise beantragt hatte, seit 1969 in Bayern. Jetzt, nach über 20 Jahren, hat er seinen Besuch mit Frau und seinen beiden Kindern angekündigt.

Maria – die Ich-Erzählerin – läßt sich treiben, Johannes hingegen hat klare Vorstellungen von seinem zukünftigen Leben. Er hat das Abitur fast in der Tasche und will Kunst studieren. Er entdeckt seine Leidenschaft für die Fotografie, Maria hingegen entdeckt die Leidenschaft zu dem wesentlich älteren Säufer, Schürzenjäger und Taugenichts Henner vom Nachbarhof. Nach einem Unfall, den Marias Mutter verursucht hat, kommen sich beide näher. „Wozu die Tage zählen! Dem Menschen genügt ja ein einziger Tag, um das ganze Glück zu erfahren.“ (Zitat aus Dostojewskis „Die Brüder Karamasow“.) Und das erfährt Maria in den Armen von Henner, einem ausgesprochen gewalttätigen Liebhaber aber mit einer enormen Anziehungskraft, der sich Maria nicht entziehen kann und auch nicht will. „Die Hände von Henner sind jetzt wieder da – rau, sanft, brutal, fordernd, und ich sehne mich nach ihnen –„ (S. 70)

Mit einer anfangs ungewöhnlichen Erzählweise, die mich an alte Schmöker aus früheren Zeiten erinnerte und an die ich mich erst einmal gewöhnen mußte, später aber davon fasziniert war, erzählt die Autorin die Liebesgeschichte von Maria Bergmann und Thorsten Henner.

Geschickt verarbeitet die Autorin ihre Kindheitserinnerungen an die DDR, war sie doch 1990 auch gerade mal erst 15  Jahre alt. Pionierlager, FDJ, Jugendweihe und Staatssicherheit sind für sie keine Fremdwörter, sondern hautnahe eigene Erfahrungen. Die erschütternden Erlebnisse von Henners Mutter werden glaubhaft erzählt, auch sie liebte Bücher und der Alkohol wurde ihr bester Freund. Das Ende des Romans war für mich so nicht vorhersehbar, daß es so oder so ähnlich jedoch enden mußte, das war mir von Anfang an klar.

Ein Klassiker der Weltliteratur trifft auf zeitgenössische Literatur, was für ein wunderbares Zusammentreffen. Daniela Krien webt Auszüge aus Fjodor Dostojewskis „Die Brüder Karamasow“ hervorragend in ihr Erstlingswerk ein. Dostojewski war auf der Suche nach den seelischen Abgründen des Menschen, Krien ist es auch. Daß eine 16jährige Dostojewski liest, ist nicht erstaunlich, andere Begehrlichkeiten gab es halt zu dieser Zeit noch nicht. So, wie die Protagonistin von Dostojewski begeistert ist, hat mich Daniela Kriens Roman in seinen Bann gezogen, nur daß ich mit ihm nicht spazieren gegangen bin, sondern mit Begeisterung gleich ausgelesen habe.

Ein wunderschönes, sehr zu empfehlendes Buch für „Ostler“ wie für „Westler“ und man kann auf eine Fortsetzung hoffen, denn „Die Brüder Karamasow“ sind noch nicht ganz ausgelesen.