Wandrer ohne Ziel

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owenmeany Avatar

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Fesselt mich ein Buch nicht gleich zu Beginn, gebe ich ihm in der Regel 50 Seiten, bevor ich es definitiv zur Seite lege. Meistens wird es bis dahin. Bei diesem habe ich wegen der Rezension erst einmal tapfer ausgeharrt bis Seite 86.

Mit keiner der einsam vor sich  hin bruddelnden Personen konnte ich mich identifizieren, schon einmal gar nicht mit der knapp siebzehnjährigen Maria, die auf dem Bauernhof einquartiert bei ihrem jungen Geliebten Johannes durchhängt, die Schule schwänzt, gelegentliches Vergnügen findet in der Mithilfe bei der Feldarbeit, häufigeres bei gewichtiger Lektüre von Dostojewskij, Hamsun und Trakl und ziemlich oft beim Geschlechtsverkehr.

Rein verbal erschließt sich mir Henners Charisma gar nicht, und als er auf Seite 224, zehn Seiten vor Schluss, bekannt gibt, er sei vierzig, musste ich mein Bild im Kopf von einem über sechzigjährigen revidieren.

Auf Seite 86, in Kapitel 8, setzen erklärende Retrospektiven ein, die für mich manches gerade rücken. Über dem gesamten Roman hängt ein grauer Schleier der Melancholie, der auch dem Leser die Stirn verdüstert. Vielleicht ist das Absicht. Vielleicht war genau so das Lebensgefühl in den ländlichen Gebieten der neuen Bundesländer nach der Wende. Vielleicht habe ich ihn überhaupt mit den Augen des Besserwessis gelesen. Vielleicht waren gerade junge Leute, die sich niemals in Freiheit üben durften, traumatisiert und verunsichert.

Denn dieses drückt Daniela Krien sehr plastisch aus. Immerhin schimmert gelegentlich mit den Städten München und Leipzig eine hellere Perspektive durch, allein damit kann ich auch das eigentlich idyllisch anmutende Titelbild mit dem beschatteten Feldweg in Einklang bringen.

Dass es zur läuternden Klimax erst einer Verzweiflungstat bedarf, ist wohl die traurige Konsequenz der verqueren Geschichtsläufte.