Ein jüdisches Leben in Wien

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
petris Avatar

Von

In diesem, sehr literarisch gestalteten Buch, gibt die Autorin ihrem Urgroßonkel Isidor seine Geschichte zurück, wie sie selber sagt. Gleichzeitig erzählt sie anhand ihrer Familie von der unfassbaren Machtübernahme der Nazis ab 1938 und dem Leid, das den Juden zugefügt wurde. Enteignung, Tod, Vertreibung,…
Isidor, der Bruder der Urgroßmutter der Autorin, war eine schillernde Gestalt. Er stammte aus einem kleinen Schtetl im hintersten Winkel Galiziens. Der Vater war ein jüdischer Gelehrter, der nicht arbeitete, die Mutter brachte die Familie mehr schlecht als recht durch. Doch die Kinder waren aufgeweckt, im Gegensatz zu ihrem Vater weltoffen und ehrgeizig. So gelang es ihnen allen, wegzugehen, zu studieren, Ausbildungen zu machen, Erfolg zu haben. Selbst der früh verwitweten Tochter, die in Wien einen gut gehenden Modesalon führte.
Doch Isidor war es, der es am weitesten brachte. Erfolgreich, reich, ein Liebhaber von Kunst und schönen Dingen, gebildet und ein großer Opernfan. Er hatte seinen Platz in der Gesellschaft, war angesehen und wohlhabend. Er hatte es geschafft und liebte sein Leben in Wien. Antisemitismus hielt er für eine lästige Sache, die es halt immer mal mehr, mal weniger geben würde. Er war überzeugt, dass der Spuk der Nazis schnell vorübergehen würde. Doch leider war das nicht so. Aufgrund seines Reichtums geriet er schnell in ihre Fänge, er zerbrach daran.
Sehr lebendig erzählt nimmt uns die Autorin mit in die Zeit des frühen 20. Jahrhunderts. Man bewundert den Fleiß, den Mut, den Geschick dieser Geschwister, die es zu Ansehen und Wohlstand bringen. Immer wieder steht Isidor im Mittelpunkt, der schrulligste von ihnen. Obwohl man weiß, dass kein gutes Ende auf sie wartet, das Jahr 1938 rückt in der Erzählung immer näher, hofft man dennoch, dass die Katastrophe ausbleibt. Was sie natürlich nicht tut.
In dieser Familiengeschichte, die, wie die Autorin im Interview erzählt, auch deshalb Aktualität hat, weil „sich Geschichte anhand einzelner Menschen und Biografien noch einmal ganz anders darstellt, sie greifbar macht.“ S. 249, wird die Absurdität und das Grauen der Naziherrschaft einmal mehr so richtig bewusst gemacht. Gleichzeitig ist sie auch eine Liebeserklärung an die Stadt Wien mit all ihren wunderschönen Plätzen.
Sprachlich gelungen, wunderbar recherchiert, eine spannende Geschichte,… Ein Buch, das ich wärmstens empfehlen kann!