Eine bemühte Rekonstruktion

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Der Roman ist eigentlich eine Biografie über ein jüdisches Leben aus der Familiengeschichte der Autorin Shelly Kupferberg. Anhand von Dokumenten, Briefen u.ä. konstruiert sie das Leben des Juden Isidor, der unter dem Nationalsozialismus in Deutschland leiden musste. Die Erzählung wechselt aus der Ich-Perspektive Isidors zur Perspektive der Autorin, die über den Prozess der Rekonstruktion und Imagination berichtet. Diesen Wechsel fand ich unglücklich eingefädelt, er hat den Lesefluss gestört. Da ich einige (Auto-)Biografien und Romane aus dieser Zeit kenne, die die Verfolgung im NS-Regime thematisieren, meine ich, eine gute Vergleichsfolie zu haben. Sicher muss beachtet werden, dass Shelly Kupferberg nur im engsten Sinne rekonstruieren kann und das Geschehen nicht selbst miterlebt hat, dennoch ist mir diese Distanz bei der Lektüre allzu deutlich präsent geblieben. Das Leben des Wiener Urgroßonkels wird größtenteils in Anekdoten verarbeitet, die mich offen gesagt gelangweilt haben. Bei anderen (jüdischen) Autoren wie Karl Jakob Hirsch, wird eine spezifische Perspektive zum Zeitgeschehen geöffnet und literarisch anspruchsvoll und zugleich lesenswert von den Lebensumständen berichtet. Dies hat mir in "Isidor" gefehlt. Die pathetischen und zugleich schwülstigen Ausdrücke im Zusammenhang mit den schrecklichen Erfahrungen des Urgroßonkels wirken wie Floskeln, die die Brutalität dieser Zeit leider nicht adäquat wiedergeben können. Wer ganz konkret eine Biografie zu einer einzelnen Perspektive innerhalb der Judenverfolgungen im Nationalsozialismus lesen möchte, der kann vielleicht etwas mit dem Buch anfangen, für mich war es nichts.