L'Chaim - Auf das Leben

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Die in Tel Aviv geborene und bislang der Öffentlichkeit als Journalistin und Moderatorin bekannte Shelly Kupferberg legt nunmehr ihr dankenswerter Weise bei Diogenes erschienenes erster Buch >>Isidor - Ein jüdisches Leben<< vor.

Erzählt wird die Geschichte der Familie von Dr. Isidor Gellert, den seine orthodoxen Eltern Israel genannt hatten und der es aus dem ärmlichen Galizien in die österreichische Metropole Wien schaffte.
Dieser Aufstieg war ein harter und dornenreicher Weg, begleitet vom latenten Widerspruch seines Vaters, dem intelligenten und mittellosen Talmudgelehrten, dem Verständnis der sich aufopfernder Mutter und der Hilfe seines Bruders David, der zuerst den Weg nach Wien fand und später doch an schwerer Krankheit leidend den Weg nach Amerika nicht mehr schaffte.

Auch die berührende Geschichte der früh verwitweten Schwester Fejge findet Eingang in das Buch, sie, die sich später Franziska nennen wird, nimmt ihr Schicksal beherzt in die Hand, heiratet den ebenfalls verwitweten Emil Grab und wird beruflich erfolgreich.

Im Jahre 1908 kommt Isidor in die Donaumetropole Wien, der damals sechstgrößten Stadt, die geprägt ist vom Aufschwung der Moderne.
Kunstsinnig saugt er all diese Strömungen, Mentalitäten und Kulturen ein, Verführung, Leichtigkeit und Sinnlichkeit lassen die dörfliche Enge der Geller'schen Kindheit verblassen.
Jedoch soll nicht unerwähnt bleiben, dass Isidor durch Matura, Studium und Promotion sich ein exzellentes Wissen auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft aneignete, welches seine spätere Lebensweise überhaupt erst ermöglichte und ihn auch den ersten Weltkrieg einigermaßen unbeschadet überstehen ließ.

Denn nun kann er auftreten auf der Bühne des Zeitgeistes, umgeben von der Kunst Gustav Klimts, Gustav Mahlers, Arnold Schönbergs oder Arthur Schnitzlers.

Intelligent, stolz und wohlhabend führte er dort ein mondänes Leben, erhaben gegenüber den heraufziehenden dunklen Wolken des Nationalsozialismus.

Denn wer als emanzipierter und assimilierter Jude die Vorzüge der Großstadt zu genießen wusste (auch ohne Erfüllung in den eigenen Liebesbeziehungen), konnte durchaus zu der fatalen Fehleinschätzung kommen, Antisemitismus sei ein Phänomen, mit dem man sich arrangieren könne, zumal als angesehener und einflussreicher Kommerzialrat und zeitweise bestellter Wirtschafsweiser der Stadt.

Isidor wie auch Walter, der Sohn von Franziska und Emil, werden jedoch auf überaus schmerzliche Weise erfahren und erleiden, wie die Nürnberger Rassengesetze die Benachteiligungen und Schikanen der Juden rechtlich legitimierten und wie die Menschen (auch jene, die von Isidors Großzügigkeit profitierten) in widerlicher Weise der Propagandamaschine des Führers entsprachen und im Umgang mit ihren jüdischen Mitmenschen entarteten.

Shelly Kupferberg gelingt es meisterhaft, dem Leser das Schicksal ihrer Familie nahezubringen, die Kapitel wirken wie ein Roman, obschon die entsetzlichen Geschehnisse leider nicht fiktiv sind.

Und wer die Ereignisse bis zum bitteren Ende verfolgt - und nur ein Barbar würde dies nicht tun - kann auch das merkwürdig anmutende Cover des Buches entschlüsseln.

In einer Zeit, da Antisemitismus in Deutschland wie in Österreich und anderen europäischen Ländern sich offenbar nur unter einer oftmals schon schmelzenden Oberfläche verbirgt, ein überaus wichtiges Buch.