Kraftvoll, empowernd, eindringlich und klug!

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»All das würde mein Freund nicht verstehen, selbst wenn er am Telefon einmal zuhören würde, denn er möchte es nicht verstehen, mein Gefühl der Verlorenheit, gefangen zwischen zu Schwarz in Deutschland und zu deutsch in Kamerun. Zu laut und fremd bei ihm, nicht stark und stolz genug bei meiner Familie. Dieses immer Zu-viel-oder-zu-wenig-Gefühl ist mein ständiger Begleiter.«

Um es gleich vorweg zu nehmen: »Issa« war für mich ein absolutes Highlight! Mirrianne Mahn schreibt so kraftvoll wie empowernd und so eindringlich wie klug, dass ich bisweilen noch immer daran zweifle, dass es sich hierbei um ihr literarisches Debüt handelt. Kunstvoll – sprachlich wie inhaltlich – verwebt sie die Schicksale von fünf Frauen miteinander, deren Leben mehr als ein Jahrhundert trennen und die doch über die Linien kolonialer Ausbeutung sowie dem Streben nach Selbstbestimmung verbunden sind. Ihre Autonomie wird durch Issa zum Dreh- und Angelpunkt dieser mitreissenden Familiengeschichte:

Eigentlich will Issa diese Reise gar nicht antreten. Schwanger sitzt sie im Flugzeug nach Douala, angetrieben von ihrer Mutter, die bei der bevorstehenden Geburt um das Leben ihrer Tochter fürchtet. In Kamerun, dem Land ihrer Kindheit, soll sie unter den Adleraugen ihrer Mbambah den heilsamen Weg der Rituale gehen – und das sind viele. Einfach ist es auch nicht, wie Issa feststellen muss. Denn die junge Frau ist zwar in Frankfurt zu Schwarz, aber in Buea zu deutsch. Die mystischen Zeremonien scheinen ihr anachronistisch, wie aus der Zeit gefallen, aber mit jedem Ritus gewinnt sie auch eine neue Perspektive, kommt sich selbst und ihren Wurzeln näher. So wird der Heimatbesuch für Issa allmählich eine Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Familiengeschichte und der Gewissheit, dass sowohl Traumata als auch der unbedingte Liebes- und Lebenswille vererbbar sind.

Meine Zusammenfassung klingt bei Weitem nicht so sexy, wie sich dieses Buch lesen lässt! Mirrianne Mahn verwebt die Themen Identitätssuche, Autonomiebedürfnis, Rassismus, Kolonialismus und Patriarchat organisch, und auch hinter den »Ritualen« verbirgt sich nichts »Esoterisches«. Sie sind eher ein Mittel zum Zweck, ein Instrument zum Spannen des Handlungsbogens. Im Vordergrund stehen immer die Frauen aus Issas Familie mit ihren Motiven, Optionen und Möglichkeiten – die sich im Laufe der Leben von Urgroßmutter, Oma, Mutter und Issa selbst (wenigstens teilweise) gewandelt haben. Aber Machtstrukturen bestimmen noch immer den Alltag von Frauen, egal ob in Deutschland oder Kamerun, und Issa muss erkennen, dass sie alle nur durch Zusammenhalt und ihre gegenseitige Fürsorge überleben können.

»Issa« ist für mich einer der heißesten Titel dieses Frühlings: feministisch, empowernd, smart, emotional, mitreißend, facettenreich – und unbedingt lesenswert! Große Empfehlung!