Wichtige Erzählperspektive, literarisch aber zu wenig anspruchsvoll

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"Diese immer Zu-viel-oder-zu-wenig-Gefühl ist mein ständiger Begleiter."

Als Issa ungeplant schwanger wird, lässt sie sich von ihrer Mutter dazu überreden, in ihrem Geburtsland Kamerun mehrere Wochen lang an Ritualen teilzunehmen, um den reibungslosen Verlauf der Schwangerschaft sowie die Gesundheit von Mutter und Kind zu gewährleisten. Widerwillig reist sie also nach Kamerun zu ihren Omas, um dem Gezeter ihrer Mutter und den Konflikten mit ihrem Freund zu entgehen. Dass sie dort ungeahnt ihre Wurzeln und die Verbindung zu ihren Ahninnen wiederfindet, hätte sie nicht gedacht.

Mirrianne Mahn erzählt in ihrem Debüt die Geschichten mehrerer Generationen kamerunischer Frauen, alle davon direkte Vorfahrinnen von Issa. Wir starten mit Issas Perspektive, im Flug von Frankfurt nach Kamerun, völlig im Unklaren darüber, was sie wohl im Heimatland ihrer Mutter erwarten wird. Sie weiß nur: In Deutschland ist sie "die Schwarze", in Kamerun "die Deutsche" - nirgends gehört sie richtig dazu, überall wird sie irgendwie beäugt. Diese Zerrissenheit spielt in der Erzählung immer wieder eine Rolle, wird von Mahn allerdings nicht zentral gesetzt. Vielmehr geht es darum zu erkunden, woher Issa kommt, welche Ahninnenlinien sich in ihr verbinden.

Relativ unzusammenhängend mit der Erzählung in der "Gegenwart" (2006) werden also die Geschichten mehrerer Vorfahrinnen von Issa erzählt, beginnend 1906 mit Enanga und ihrer Mutter Ihanna. Es geht weiter mit deren Kindern und Kindeskindern, die die verschiedenen Stadien des Kolonialismus, der Kriege und Gewalt miterleben. Der deutsche Kolonialismus in der Region ist meiner Meinung nach zu wenig bekannt bei uns, weshalb Mahns Roman hier einen wichtigen erzählerischen Beitrag leistet, und zwar aus Perspektive der Kolonialisierten. Wir stecken mittendrin im kamerunischen Leben, in der Polygamie, in den Traditionen, in den Auswirkungen des (Geo-)Politischen auf das Schicksal der Einzelnen. Das macht diese Perspektiven auch so spannend zu lesen.

Spannender als Issas Kapitel auf jeden Fall, da diese sich primär um die Beschreibung von kamerunischen Eigenarten, Alltagserlebnissen und leicht verrückten Ritualen drehen. Das Thema der weiblichen Kraft wird für mein Empfinden zu sehr aufgebläht, Dinge wie Mutterschaft und Kinderkriegen zu sehr mystifiziert und hochgehoben. Das geht mir zu sehr in esoterische Richtungen der Art "Die geheime Macht der weiblichen Natur". Gleichzeitig werden Issas realweltliche Konflikte nur angedeutet: Der "Kindsvater" (den Namen erfährt man nie) ist ein Depp, die Mutter irgendwie auch verrückt, der Stiefvater ist gerade einmal ein paar Zeilen wert. Es ist recht viel Tell, wenig Show, und so konnte ich zu Issa und ihrem Leben keine rechte Verbindung aufbauen, nicht wirklich mitfühlen oder mitfiebern, auch wenn einige Szenen (z.B. auf dem Markt oder im Friseursalon) durchaus erzählerisches Feuer hatten. Gleichzeitig blieb die Anbindung an die Ahninnengeschichten zu vage, was wiederum den erzählerischen Drive abschwächte.

Stilistisch und literarisch gesehen lässt der Roman für mich also zu wünschen übrig. Dennoch ist er lesenswert, da er Themen verhandelt, die bei uns zu wenig bekannt sind und kaum diskutiert werden, und weil literarische Stimmen, die eine andere Perspektive auf Deutschland und seine Geschichte einnehmen können, dringend gebraucht werden.