Freiheit, der Zahn der Zeit und das Einzig-Wahre-Glück

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
alasca Avatar

Von

Die namenlose Protagonistin ist mit sich im Reinen: Die Kinder sind aus dem Haus, sie ist glücklich geschieden, hat einen netten Freundeskreis und genießt ihr Leben mit Hund Mulder zwischen Apartment in Wien und Häuschen im Waldviertel. Dann, im Dorfsupermarkt, unverhoffter Auftritt Friedrich, Ex-Flamme aus Studentenzeiten, wieder frei und ausgerechnet im Nachbardorf ansässig.

Und schon geht das Gedankenkarussell los, und die Protagonistin findet sich wieder „an diesem inneren Ort, an den ich nie wieder hinwollte. […] Dort fange ich an, mich den möglichen Erwartungen eines Mannes entgegenzubiegen.“ Ja, nein, vielleicht – will sie ihren Seelenfrieden, ihre Autonomie und ihre Unabhängigkeit für Friedrich auf´s Spiel setzen? Das Dilemma, in dem sich Knechts Prota befindet, kennt wohl jede Frau ab Mitte Fünfzig.

Zeitgleich wird sie unangenehm an ihre Sterblichkeit und den künftigen Verfall erinnert: Ein Zahn schmerzt, schöne Symbolik, der Zahn der Zeit ist es, und nein, er ist nicht mehr zu retten und muss gezogen werden. Es bleibt eine Lücke, die nicht (mehr) geschlossen werden kann. Das tut weh, wenn man ansonsten das Gefühl hat, alles im Griff zu haben. Für die Zahnbehandlung muss sie regelmäßig nach Wien, kann aber ihr Apartment nicht nutzen, denn das hat Paula, eine ihrer drei Schwestern, aus obskuren Gründen seit Wochen okkupiert - unsere Heldin findet die bislang perfekt verheiratete Paula „fast unheimlich, sie ist so ein bisschen wie diese moderne Keramik, die man nicht putzen muss, weil restlos alles daran abperlt.“ Keine bringt komplexe Familienverhältnisse so witzig auf den Punkt wie Knecht; überhaupt steckt der Roman voller hellsichtiger, liebevoll-ironischer Beobachtungen der lieben Mitmenschen. Sehr amüsiert hat mich, wie sie anhand von Paula den Mythos der idealen Ehe demontiert und nebenbei vorführt, wie frau sich ganz unbelastet von ehelichen Skrupeln selbst verwirklichen kann.

Knechts Protagonistin ist keineswegs bitter, sie ist eben lebenserfahren und schaut nüchtern in diese Welt voller patriarchaler Romantik-Narrative, die das Glück zu zweit als das EWG, das Einzig-Wahre-Glück propagiert. „Jemand hat mich mal gefragt, woher mein pessimistisches Männerbild käme. Na ja, hm, wie soll ich sagen, das kommt vom Leben als Frau.“

In Knechts Roman ist der Klimawandel nicht nur ein Prüfstein für die Menschheit, sondern, ganz am Puls der Zeit, auch für unsere Heldin. Während sie noch an Friedrich-oder-nicht herumdenkt, muss sich erweisen, wie tragfähig ihre Freundschaften sind. Und natürlich wird die Situation zum Testfall auch für Friedrich.

Mir hat die Lektüre dieses klugen Romans großen Spaß gemacht und mir jede Menge Schmunzel-, Aha- und Genau!-Momente verschafft. Dieses Lebensgefühl einer ganz besonderen Lebensphase, in der frau schon einiges hinter, aber hoffentlich auch noch vor sich hat, gleichzeitig eine Ahnung künftiger Gebrechlichkeit, das bringt Knecht locker-leicht auf den Punkt mit ihrem unverkennbaren lakonischen Sound. Mir gefiel auch die Metaebene, die sie eingebaut hat. Die Autorin lässt uns am Schreibprozess und der sehr launigen Auseinandersetzung mit der Lektorin teilhaben; ein hübscher Kunstgriff, der uns daran erinnert, dass wir es hier – trotz Knecht-biographischer Parallelen – mit Fiktion zu tun haben.

Insgesamt ein wunderbar luftiger, aber dennoch substantieller Lesestoff. Leicht genug für den Strandkorb, gehaltvoll genug für Freundinnen anspruchsvoller Literatur. Übrigens ist die Lektüre auch sehr für jüngere Frauen (und Männer) zu empfehlen – beschleunigt vielleicht den Beziehungs-Lernprozess und macht Spaß, versprochen!