Außergewöhnlicher Roman über Migration, soziale Unterschiede und ... Liebe

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corsicana Avatar

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Wow - Was für ein Roman. Auf sehr außergewöhnliche Art wird hier über Migration, soziale Ungleichheit, Bildungsaufstieg und die damit verbundenen Probleme erzählt. Kombiniert mit einer (vermeintlichen? ungewöhnlichen?) Liebesgeschichte.
Zeljko, den in Deutschland alle nur Jimmy nennen, ist erst 15, als er Martha kennenlernt. Sie ist Professorin, etwa 20 Jahre älter und wohnt in einer Villa mit Park und Pool in Heidelberg. Ihre Putzfrau ist Zeljkos Mutter, Kroatin aus der Herzegowina und wohnhaft mit Mann und drei Kindern in einer Zweizimmerwohnung in Ludwigshafen. Zeljkos "Kinderzimmer" ist dort eine mit einem Vorhang abgetrennte Nische im Flur. Dort treffen sich Zeljko und Martha zum ersten Mal und von nun an wird eine besondere Anziehungskraft ihre Leben miteinander verbinden. Zunächst wird Zeljko die Sommerferien über als Aushilfe die Kaninchenställe für Marthas Tochter in deren Garten aufbauen. Und die Bibliothek im Haus nutzen dürfen. Dies bestärkt ihn noch mehr darin, sich Bildung anzueignen. Denn Zeljko erkennt schnell, dass nicht Geld und großzügige Häuser den Unterschied ausmachen, sondern Bildung. Und so wird Zeljko als erster in seiner Familie Abitur machen und studieren. Martha wird ihn unterstützen, jedoch nur sporadisch in seinem Leben präsent sein, dann aber unvergessliche Erlebnisse bereiten.
Eine klassische Liebesgeschichte ist es eigentlich nicht - aber was ist es dann? Und warum fühlt sich Zeljko so einsam und wenig angekommen in seiner neuen Welt? Sind es die sozialen Unterschiede? Die Probleme, als Migranten- und Arbeiterkind an einer Universität? Seine abenteuerlichen Experimente in der Sexualität? Sein Hang zu Marihuana?
Der Roman erzählt jedenfalls keine reine Erfolgsgeschichte, sondern direkt und episodenhaft die Eindrücke, Probleme und Gedanken eines Jungen aus einer einfachen, bildungsfernen Migrantenfamilie, die zwar liebevoll ist, in der vor lauter Geldverdienen jedoch der Fokus verloren geht. Und so schlingert der Protagonist durchs Leben, bis es am Ende ein wenig versöhnlicher wird. Für mich persönlich war es jedoch eher ein Scheitern und genau das Ende des Romans mochte ich deshalb weniger.

Trotzdem: Ein unbedingt lesenswerter Roman mit sehr genauen Beobachtungen und wie nebenher eingeflochtenen Alltagsbeschreibungen, die die sozialen Ungleichheiten unserer Gesellschaft punktgenau sezieren.

"Meine Geschichte will ich erzählen, weil ich glaube, dass wir uns mehr Geschichten erzählen sollten über uns in diesem Land. ... Mir selbst will ich meine Geschichte erzählen, weil ich die Irrwege meines Erwachsenenlebens in eine Dramaturgie sortieren will..." (Seite 15)