Eine Einwanderungsgeschichte

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missmarie Avatar

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,,Hier lag der Unterschied. Hier, in der Bibliothek der Grubers. Nicht im Haus. Nicht im Pool. Nicht im Garten [...] Es war der Zugang zu diesem Raum."

Für Jimmy, der eigentlich Zeljko heißt, ist schon in jungen Jahren klar: Wenn er eines Tages nicht mehr als Ausländer auffallen will, führt der Weg nur über das perfekte Beherrschen der Sprache. Und so klaubt er alte Zeitschriften aus Müllcontainern zusammen, schreibt sich unbekannte Begriffe der Bildungssprache heraus und schlägt ihre Bedeutung im Wörterbuch nach.

Diese kleine Anekdote ist eine von vielen, mit der Martin Kordic - ganz beiläufig und nebenbei - erzählt, was es bedeutet ein Migranten im "Einwanderungsland Deutschland" zu sein. Unzählige ähnliche anschauliche Szenen finden sich im knapp 300 Seiten starken Roman. Dabei geht es der Hauptperson nicht darum, Anklage zu erheben oder sich im eigenen Schmerz zu suhlen. Vielmehr lässt Kordic ihn alles ganz beiläufig erzählen - so normal, wie es für den Jungen, Studenten bzw. Mann erlebt wird.

Der Leser Begleiter Jimmy über mehrere Jahre seines Lebens, etwa von seinem 14. Lebensjahr an. Demnach müsste der Roman eigentlich den Titel "Jahre mit Jimmy" tragen, denn er ist es, den der Leser wirklich kontinuierlich begleitet. Die titelgebende Martha - eine Professorin, bei der Jimmys Mutter putzt - tritt nur hin und wieder in Erscheinung. Viele Jahre lang haben die Figuren kaum oder gar keinen Kontakt. Und so bleibt Martha eine nebulöse Figur, weder für Jimmy noch für den Leser vollständig greifbar. Doch scheint sie stets am Horizont erahnbar.

Mit Martha verbindet Jimmy eine Liebesbeziehung, die sich bereits kurz nach dem Kennenlernen den beiden entwickelt. Der enorme Altersunterschied - Martha hat promoviert, ist verheiratet, hat eine Tochter - spielt kaum eine Rolle. Und so liest sich der Roman, der als typische Migrationsliteratur mit popkulturellen Einflüssen (Michael Jackson) beginnt, schnell wie eine jugendliche Romanze, die bald ins Erotische schwenkt.

Trotzdem ist eine Genre-Zuordnung schwierig. Immer dann, wenn man denkt "Das ist es!"; wechselt Kordic unvorhergesehen die Handlung und statt einem Liebes- liest man einen Kriegsroman. Dieses Wechsel sind zwar ein gekonntes Spiel mit den Lesererwartungen, sorgen aber auch dafür, dass der Roman insgesamt unstetig wirkt. Eine stärkere Fokussierung hätte dem Text gut getan, hätte seine Kernaussage vielleicht stärker herausstellen können. So bin ich etwas ratlos zurückgeblieben. Mit vielen Eindrücken aus dem Leben von Einwanderern in Deutschland zwar, aber ohne roten Faden.