"Jahre mit Martha", die Geschichte einer ungleichen Beziehung.

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herrfabel Avatar

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Mit Martin Kordićs neusten Roman "Jahre mit Martha" reisen die Leser*innen zurück in die späten 90er Jahre in den Westen Deutschlands. Hier lernen sich Martha und Željko, alias jimmy, auf dem vierzigsten Geburtstag seiner Mutter kennen. Es ist eine eher witzige Geschichte, die sich die beiden auch noch Jahre später immer wieder erzählen werden. Jimmys Familie stammt ursprünglich aus Herzegowina. Sein Vater ist in Ludwigshafen Hausmeister und so haben sie dort in einem Vorderhaus eine kleine Wohnung gestellt bekommen. Vater, Mutter, sein Bruder Kruno, seine kleine Schwester Ljuba, Jimmy und der kleine Wellensittich Lothar, angelehnt an den großen Fussballstar Lothar Matthäus, teilen sich die überschaubaren zwei Zimmer, Küche, Bad. Und an dem Geburtstag seiner Mutter, teilt sich gefühlt das ganze Haus ihr Bad, denn die Kellertoilette im Hinterhaus ist kaputt und da Jimmys Vater nicht da ist und Jimmy nicht großartig was daran machen konnte, blieb ihre Wohnungstür für alle geöffnet. Und so lernt er dann Frau Gruber, die Chefin seiner Mutter aus Heidelberg kennen, für die sie aus Angst, sie könnte ihr Essen für minderwertig halten, extra eine Schwarzwälder Kirsch-Torte kauften. Auch Frau Gruber muss einmal auf die Toilette und Jimmy sitzt in diesem Moment in seinem Zimmer. Oder besser gesagt hinter einem Vorhang neben der Badtür. Die Minuten verstreichen und weil sich immer noch nichts tut oder die Spülung betätigt wird, fragt Jimmy nach. "Ich kann nicht, wenn du da vor der Tür in deinem Bett sitzt." klang es aus dem Bad und es entwickelt sich ein kurzes Gespräch. Und damit ist es dann um ihn geschehen. Sie treffen sich ab jetzt häufiger 'zufällig' in der Stadt , Jimmy begleitet irgendwann seine Mutter zur Arbeit und pflegt Frau Grubers Garten. Trotz ihres großen Altersunterschieds entwickelt sich nach und nach ein Art Liebesbeziehung zwischen den beiden, sie unterstützt ihn, liebt ihn und für ihn ist es das größte Glück, denn mit ihr kehren auch Bücher, Bildung und Möglichkeiten in sein Leben.

"Was ich an wohlhabenden Menschen immer schon mochte, das ist ihre Selbstverständlichkeit. Diese unumstößliche Gewissheit, die sie in sich tragen, rechtmäßig sie selbst und also vermögend zu sein. Dass sie sich einen Großteil der Gedanken, die sich die Menschen, unter denen ich aufgewachsen bin, jeden Tag, jede Nacht machen müssen, noch nie in ihrem Leben gemacht haben. Ein Vorwurf ist daraus nicht abzuleiten, die meisten Menschen sind nun mal völlig selbstverständlich sie selbst, egal, ob arm oder reich."

Während des Studiums führen ihn durch einen diebischen Zufall die Wege zu Alex Donelli, einen sehr charismatischen und von den Student*innen sehr bewunderten Professor. Jimmy arbeitet für ihn, unterrichtet, nicht offiziell angestellt und doch schwappt Donellis Ansehen auch auf ihn über, aber das macht es ihm nicht wirklich einfacher. Er arbeitet hart, vielleicht als 'Ausländer' noch härter als viele andere und doch kann ihn das vor dem tiefen Fall nicht bewahren.
Seine Geschichte ist ein Blick auf Deutschland aus der Sicht einer Einwandererfamilie, geprägt durch Unterschiede, verschiedene soziale Herkünfte, Vorurteile und eben auch der Liebe. Oder wie es der Klappentext so schön sagt... >"Jahre mit Martha" erzählt vom Glanz und vom Elend, von Macht und Zärtlichkeit - ein Roman über die Frage nach dem Gleichgewicht der Welt.<

Vor Jahren habe ich Martin Kordićs ersten Roman "Wie ich mir das Glück vorstelle" über Viktor und wie er versucht nach dem Krieg, ohne seine Familie klar zu kommen, durchs Land streift, Freundschaften schließt... gelesen. Ich kann mich nicht mehr an vieles erinnern, aber irgendwie das Gefühl ist das gleiche. Es ist eine Geschichte, der man gerne folgt, bei der man großes erwartet, ein Stück weit mit dem Protagonisten verbunden ist, dann irgendwie doch alles anders wird und schließlich klappt man das Buch kurze Zeit später zu, denkt noch einmal kurz darüber nach und schon verflüchtigt sich alles wieder. Und so erging es mir auch bei "Jahre mit Martha". Gerade den Anfang und die Kennlernphase der beiden habe ich geliebt, auch als es mit Željko weiter geht, das Leben ihm weitere schicksalslenkende Begegnungen schenkt und er sich weiterentwickelt, fand ich die Erzählung noch sehr spannend, aber dann zog sich alles in die Länge, seine Handlungen drifteten ins Fragwürdige ab und ich verlor die Bindung zu ihm und so dann auch zur Geschichte. Da konnte mich dann selbst das berührende Ende nicht mehr wirklich umstimmen.

Aber Martin Kordić erzählt nicht nur von dieser ungewöhnlichen, sowie ungleichen Liebesgeschichte, sondern zeichnet auch ein Bild vom Einwandererland Deutschland. Wie ergeht es Menschen hier, die sich gefühlt ständig beweisen müssen? Wie kommt man voran, wenn man nichts hat? Ist Bildung wirklich alles? Und wie sieht es mit den Vorurteilen aus? Man lernt als Leser*in Deutschland aus einer anderen Perspektive kennen, was wirkllch nett ist. Zwar geht Kordić nicht über die bekannten Klischees hinaus, aber als Nicht-Einwanderkind gibt einem Željkos Geschichte doch so einiges zu bedenken, ohne dass daraus gleich so etwas vorwurfsvolles wird. Und ohne, dass man Vorkenntnisse über die Situation in anderen Ländern braucht oder es in dem Roman zu Gewaltausbrüchen kommt. Es ist eine gut erzählte Geschichte, die thematisch schon einiges zu bieten hat und sich auch für Menschen eignet, die gerne Herzschmerzgeschichten und weniger aktuell kritische Literatur lesen. Für mich hätte es auch ein Lieblingsbuch werden können, aber mir persönlich hat einfach der letzte Funke oder besser gesagt die Möglichkeit die Handlungen des Protagonisten bis zum Schluss nachvollziehen zu können, gefehlt. Ich frage mich noch immer warum er so weitergemacht hat und nicht anders und warum sie sich aus den Augen verlieren mussten... Das Leben ist zwar auch nicht immer logisch, aber das war für mich einfach nicht stimmig.