Die (nicht mehr) unerzählten Abenteuer von James

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
bookdevourer Avatar

Von

*4,25 Sterne
Irgendwie hatte ich eigentlich geplant Everetts "Die Bäume" zu lesen, aber durch einen glücklichen Umstand ist stattdessen dies das erste Werk, welches ich von dem Autor lese. Da "Huckleberry Finn" einer meiner Kindheitsklassiker gewesen war, war ich sofort begeistert von dem subversiven Konzept dieses Buches.
Meiner Meinung nach ist der Cover der deutschen Ausgabe, obwohl nicht unbedingt angenehm für meine Augen, konzeptuell herausragend: Im Hintergrund ein idealisiertes amerikanisches Landleben, grob mit der Silhouette eines schwarzen Mannes (dem Hauptcharakter) übermalt, spiegelt es wirklich die Idee des Romans wider.
Der Anfang des Buchs hat mich sofort gefangengenommen. Er beginnt mit einer dieser Szenen aus dem Originalbuch, die sich wirklich hervorragend für eine Neuinterpretation anbieten und die neue Perspektive war eine erfrischende Erfahrung. Everett bedient sich (wie ich nur vermuten kann, da dies ja mein erstes Buch von ihm ist) auch an Twains Schreibstil und nimmt auch teilweise seinen Humor an.
Weiterführend wurde ich schließlich etwas unsicher bezüglich der scheinbar bedeutungslosen Abänderungen des Romans: Änderungen, die nichtig schienen (z.B. wie viel Geld jemand erhält) oder, welche die Handlung zusätzlich sogar etwas weniger interessant machten (z.B. warum Kanu und Floß auseinanderdriften und daher Huck und James für eine Weile separieren), doch später vermutete ich, dass diese nur als Vorboten zukünftiger, größerer und bedeutungsvoller Änderungen zu verstehen sind.
Everett schafft es tatsächlich die Realität und das Verständnis der Menschen dieser vergangenen Zeiten zu vermitteln.
An dieser Stelle muss ich einmal wirklich den deutschen Übersetzer Nikolaus Stingl loben. Mit der Übersetzung des Dialekts durch die Entwicklung eines neuen deutschen Dialekts, der für die Charaktere und das Setting glaubhaft ist, hat er wirklich hervorragende Arbeit geleistet.
Die Geschichte rückt recht temporeich vorwärts (besonders im Vergleich zum Quellmaterial) und bevor es dem Leser bewusst wird, befindet er sich schon mitten in unbekannten Geschehnissen. Wir treffen und verlieren viele neue Leute und es gibt einen (kann ich sagen?) Plottwist im Bezug auf mindestens einen von Twains Charakteren. Das Buch ist teils erschreckend und teils herzzerreißend (auf eine sehr nüchterne Weise), aber all dies gipfelt in einem inspirierenden und wahrlich filmwürdigen Ende.
Was ich noch wirklich zu schätzen wusste, war, dass der Autor noch Mark Twain als sehr menschliche Person kreditiert und, während er den Hintergrundcharakteren eine Stimme verleiht und den Sachverhalt richtigstellt, großen Respekt vor seiner Schöpfung zeigt.