Hermhimmel, wasn Buch.

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singstar72 Avatar

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Dieses Buch ist vieles - längst überfällig. Mutig. Innovativ. Erzählerisch mitreißend. Und ganz einfach gelungen! Es fragt sich nur, ob man es genauso gut fände, würde man die klassische Vorlage nicht kennen.

Eine Inhaltsangabe erübrigt sich weitestgehend - der Autor hat den Klassiker "Huckleberry Finn" aus Sicht des Sklaven Jim neu nacherzählt. Ein wenig erinnert die Vorgehensweise an "Einer flog übers Kuckucksnest", denn dort war es auch der ethnische Außenseiter, der sich absichtlich dumm stellte, um seine Ruhe zu haben...

Die Handlung ist also weitestgehend bekannt. Huck und Jim flüchten, und geraten dabei in etliche Abenteuer. In gewisser Weise ist es also ein Roadmovie, bei dem eine Wendung auf die nächste folgt. Sie verlieren sich aus den Augen, sind mehrfach in Lebensgefahr. Das ganze Panorama des Südstaatenlebens entfaltet sich vor dem Leser, durch sämtliche Bevölkerungsschichten hindurch.

Neu ist hier natürlich Jims Sicht auf die Ereignisse. Er entlarvt gnadenlos die Doppelbödigkeit des vorherrschenden Denkens. Gerade die scheinbare Naivität macht seine Weltsicht dabei so hintersinnig. Unterstrichen wird das noch durch seine "Zweisprachigkeit" - naiv und hinterwäldlerisch in Gegenwart von Weißen, hochgebildet immer dann, wenn er sich unbeobachtet fühlt, oder mit seinesgleichen unterwegs ist. Die Übersetzung muss hier ausdrücklich gelobt werden! Eigentlich ist Nikolaus Stingl hier fast eine eigene Version geglückt.

Sehr nett ist auch, dass hier ein Rätsel um Hucks Familiengeschichte gelüftet wird. Man kann es wohl erahnen - dennoch hat es in dieses Buch gepasst!

Außergewöhnlich auch Jims Träume - hier begegnet er den Philosophen, die er heimlich liest, und führt mit ihnen Streitgespräche. Neu war mir allerdings, dass Locke "für" die Sklaverei gewesen sein soll...?

Eigentlich viel zu schade für eine einzige Lektüre. Dieses Buch sollte mit in den schulischen Kanon aufgenommen werden.