jugendlich anmutender Abenteuerroman mit bewegender Tiefe

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
imperatorwilma Avatar

Von

Hannibal, eine Kleinstadt am Ufer des mächtigen Mississippi: hier verbringt Jim seine Tage, verstellt sich, spielt eine Rolle, die nur diejenigen durchschauen, die ebenfalls eine Rolle spielen. Denn er ist nicht dumm, sondern ein dunkelhäutiger Sklave. Und so ist es für sein eigenes Wohlergehen das beste, wenn er die Weißen glauben lässt, er sei, ungebildet, dumm, einfältig und einfach nicht so viel wert, wie sie selbst. Doch als er erfährt, dass er den Fluss hinab verkauft werden, von seiner Frau und seiner Tochter getrennt werden soll, nimmt er sein Schicksal selbst in die Hand. Er wagt die Flucht. Und von nun an erlebt er mit seinem jungen Freund Huck ein Abenteuer auf dem großen Strom nach dem anderen, immer kurz davor entdeckt oder getötet zu werden.

Auch wenn ich das Standardwerk Mark Twains noch nicht gelesen habe, wollte ich mich dennoch an diese Adaption, bzw. an diese Erweiterung des Tom Sawyer und Huckleberry Finn - Kosmos heranwagen. Und ich bereue es keineswegs, das Buch gelesen zu haben. Von Anfang an entwickelt der Schreibstil eine Sogwirkung, vor allem, da dieser recht Dialoglastig ist, und wir sehr viel Inhalt durch Gespräche, aber auch die Wahrnehmung von Jim, der unser Ich-Erzähler ist. Und so ist unsere Wahrnehmung einerseits sehr eingeschränkt, auf der anderen Seite liegt der Fokus wirklich nur auf den Geschehnissen und so entsteht dieses rasante Tempo eines jugendlich anmutenden Abenteuerromans. Dennoch hatte ich in der ersten Hälfgte des Romans zeitweise meine Probleme damit, dass man sich komplett in Zeit und Raum verliert. Auch werden manche Ereignisse für meinen persönlichen Geschmack etwas zu rasch abgehandelt. Bedingt durch die Erzählperspektive und die eingeschränkte Wahrnehmung, ist dies allerdings unabdingbar für die Geschichte und dementsprechend leicht verzeihbar.

Eine Besonderheit ist, dass viele der Dialoge versuchen, die Umgangssprache der Versklavten nachzustellen, mit der sich diese von der weißen Herrenrasse versuchten abzugrenzen. Gut gelungen, da sich nach einer kurzen Einstellungsühase sich diese Textstellen sehr flüssig lesen lassen, authentisch wohl kaum, da es immer einer Meisterleistung bedarf, dialektale Eigenheiten in einer anderen Sprache wiederzugeben. Wie dem auch sie, Gefühl und Botschaft, dass Sprache einerseits Gemeinschaft schafft, andererseits auch ausgrenzt und an Narrative verknüpft ist, werden uneingeschränkt vermittelt.

Hinsichtlich der Figuren lässt sich sagen, dass einem vor allem die Hauptfigur sehr stark ans Herz wächst. Er ist das zentrum der Geschichte. Wir erfahren seine gedanken, seine Geschichte, seine Gefühle, durchleben mit ihm die Abenteuer und Gefahren. Die anderen, wie Huck sind nur Wegbegleiter, die kommen und gehen, oder bleiben. Doch Jim wird zu einem komplexen Kosmos der Gefühle, so nachvollziehbar, dass selbst Taten und Entscheidungen, die man unter objektiver Betrachtung als moralisch verwerflich oder gar falsch ansehen müsste, beim Lesen nicht angezweifelt werden.

Kurzum, ein Buch, dass fesselt, kindliche Begeisterungsstürme für Schaufelraddampfer und Flussabenteuer lostritt, auch wenn es mir manchmal schon zu rasant vorbeizog. Die Botschaft über die Dummheit und Grausamkeit des Menschen bleibt dennoch klar und unverwaschen erhalten.