Klassiker auf links gedreht

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tausendmund Avatar

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Bist du Neuinterpretation, Kommentar, Provokation? Von allem ein bisschen? Von allem ganz viel! Und sicherlich schon jetzt kanonisch.

Eigentlich ist die Story bekannt: Mark Twains „Abenteuer des Huckleberry Finn“ ist ein absoluter – wenn nicht sogar DER! – Klassiker der amerikanischen Literaturgeschichte. Mit dir krempelt Percival Everett die Geschichte nun um – und das auf eine so schlaue und liebevolle Art und Weise, dass es dem Original überhaupt nicht weh tut und dennoch so richtig einschlägt.

Perspektivwechsel: Betrachten wir die schon bekannte Story also einmal mit anderen Augen. Sklave Jim ist ein erwachsener Mann und heißt eigentlich James. Mit dem jungen Huck Finn flieht er vor Gewalt entlang der Ufer des Mississippis. Abenteuer? Amerikanischer Traum? Not so much, wenn man in jeder Sekunde um sein Leben bangen muss und gleichzeitig einen Weg sucht, seine Familie aus den Händen der Sklavenhalter*innen zu befreien.

So weit, so spannend. Doch Everett gelingt hier ein meisterhafter Move, indem er versklavten Menschen die Opferrolle nimmt und sie als treibende Kräfte zeigt: Denn James kann in Wahrheit nicht nur Lesen und Schreiben, sondern ist hochgebildet. Mit anderen Versklavten spricht er Standard Amerikanisch, mit und vor Weißen eine Art sklavischen Slang (wie er Schwarzen in weiteren vielfach rezipierten Texten angedichtet wurde – etwa in „Vom Winde verweht“). Nur so kann James in dieser Welt überleben. Nur so kann er hinter das System blicken. Nur so seine Rolle nutzen, um ihm zu entfliehen.

Mit dir lesen wir eine dialoggetriebene (lieben wir!), sicherlich grausame Erzählung, die aber niemals bereit ist, ihre Leichtigkeit aufzugeben. Bist du Widerrede, Infragestellen, Aufruhr? Von allem ein bisschen? Von allem ganz viel! Und sicherlich für mich nicht das letzte Buch von Percival Everett.