Neue Perspektive für altbekannte Gesichter

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Percival Everett bringt uns in 'James' die bereits allseits bekannten Charakteren aus dem amerikanischen Klassiker 'Die Abenteuer des Huckleberry Finn' von Mark Twain aus einem neuen Blickwinkel näher und bewirkt damit einen starken und spannenden und zudem längst überfälligen Perspektivwechsel.
Ganz am Rande kommt auch Tom Sawyer vor, aber im Zentrum steht Huck Finn und die Titelgebende Hauptfigur, der Ich-Erzähler James, genannt Jim, der die Geschichte der gemeinsamen Flucht von Huck und Jim entlang des Mississippis aus seiner Perspektive als Sklave neu erzählt.
Die altbekannten und bereits als Kind liebgewonnen Figuren in dieser Geschichte wiederzusehen, war für mich gleichzeitig sehr schön und sehr schmerzhaft. Everett bringt mit dem Perspektivwechsel auch neue Sorgen und Ängste in die Geschichte, die Jim als Erwachsener und entrechteter Sklave natürlich viel stärker prägen, als es beim jungen Huck in der Version von Twain der Fall war.
Einen zentralen Kniff der Erzählweise finden wir in der Sprache von Jim, der mit seinen Weißen Mitmenschen in einem stark vereinfachten und bewusst undeutlich ausgesprochenem Soziolekt spricht, während die Schwarzen untereinander völlig normal miteinander reden. Diesen Sprachfilter, wie James es selber nennt, nutzen sie als Schutzmechanismus, um die Weißen sich überlegen fühlen zu lassen und sich selbst damit vor anderen, wahrscheinlich gewalttätigeren, Methoden zu schützen, mit denen die Weißen ihre Vorherrschaft ständig zu untermauen meinen zu müssen. Bei der Übersetzung dieses speziellen afroamerikanischen Südstaaten-Englisch wurde in der Vergangenheit meistens stark infantilisiert, doch in diesem Fall findet der Übersetzer Nikolaus Stingl einen deutlich angemesseneren und überzeugenderen Weg.
Einige Szenen erschließen sich vielleicht nicht völlig, wenn man mit Twains Büchern nicht vertraut ist, doch auch als alleinstehendes Werk überzeugt Everetts 'James' mich völlig. Dem Hanser Verlag ist zudem eine sehr ansprechende und dem Thema angemessene Covergestaltung gelungen. Eines der Highlights des Jahres, das ist jetzt schon mal sicher, auch dank der gelungenen Übersetzung.